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Veränderung und die Eierfrage

Kommt ein Mann zum Psychiater und sagt:

„Herr Doktor, helfen Sie mir. Mein Bruder glaubt, er ist ein Huhn!“

„Na, das ist ja verrückt! Soll ich ihn einweisen?“

„Um Gotteswillen, nein! Ich brauche doch die Eier!“

Diese Anekdote aus Woody Allens Film „Der Stadtneurotiker“ bringt die Sache mit der Veränderung satirisch zugespitzt auf den Punkt.

Das ist nicht komisch, das ist ja gerade der Witz.

Es erscheint oft einfacher, in alten Verhaltens- und Denkweisen zu verharren – auch wenn sie uns nicht mehr weiterhelfen oder sogar unglücklich machen. So geht es vielen: Eigentlich wissen wir, dass eine Veränderung längst überfällig ist, aber wie Woody Allen sagt: Wir brauchen die Eier. Deshalb wird die eigene Interpretation der Wirklichkeit nicht hinterfragt. Man will die Illusion aufrechterhalten, um sich nicht einzugestehen, dass man vielleicht in einigen Dingen nicht richtig liegen könnte.

  • Ist beispielsweise der übervolle Terminkalender ein Zeichen dafür, dass man ein aktiver und gefragter Mensch ist? Oder könnte es auch ein Statussymbol sein – frei nach dem Motto: „Sorry, bin bis Weihnachten fully booked.“ •
  • Bleibt die ellenlange Liste an Aufgaben, die du für deine Familie übernimmst, immer an dir hängen, weil nur du das regeln kannst und sonst niemand? Oder könnte es Ausdruck eines ausgeprägten „Kümmerer“-Syndroms sein, dass dir das gute Gefühl gibt, dass ohne dich nichts geht?
  • Grätscht das Berufliche immer wieder in deine Wochenendaktivitäten und behindert diese sogar, weil es der Preis für einen interessanten Job ist? Oder könnte es daran liegen, dass du nicht Nein sagen kannst?

Viele verschließen die Augen vor dem, was unangenehm ist oder nicht ins Weltbild passt. Genaues Hinsehen kann Illusionen zerstören – und damit die Eier gefährden.

Das ist der bequemere Weg – aber auch eine Sackgasse: Die Wünsch-dir-was-Welt implodiert früher oder später. Der Aufschlag auf dem Boden der Realität wird umso härter. Wir tun also gut daran, uns immer wieder freiwillig und regelmäßig eine kräftige Dosis Realitätscheck zu verabreichen.

Der Wirkstoff, der die Realität zum Vorschein bringt

Was aber ist der Wirkstoff, der die Realität, so herausfordernd sie auch sein mag, zum Vorschein bringt? Der Wirkstoff ist der Zweifel! Das bedeutet, systematisch Fragen zu stellen und (selbst)kritisch nachzuhaken. Wir tun gut daran, Zweifel nicht nur zuzulassen, sondern das Zweifeln regelmäßig zu üben.

 

Drei Fragen, die uns beim Realitätscheck helfen:

Frage 1: Welche Geschichten erzähle ich mir selbst?

Bei anderen Menschen und deren Geschichten sind wir eher skeptisch – nicht aber bei unseren eigenen. Sobald wir entscheiden, dass etwas „wahr“ ist, wird alles, was wir erleben, so interpretiert, dass es diese „Wahrheit“ unterstützt.

Der Physik-Nobelpreisträger Richard P. Feynman hat davor gewarnt: “The first principle is that you must not fool yourself – and you are the easiest person to fool.”

Darum solltest du immer mal wieder im Alltag innehalten und reflektieren, hinterfragen, zweifeln: Ist das tatsächlich so? Oder läuft gerade wieder mein Automatismus ab? Ist das Familienleben tatsächlich gleichbedeutend mit „ich muss mich um alles kümmern“? Ist der überquellende Kalender gleichbedeutend mit einem aktiven Leben? Müssen sich geschäftliche Verpflichtungen bis hin zur totalen Kalenderblockade aufschaukeln?

Natürlich fällt das nicht leicht, sich einzugestehen, dass du dir gerade eine Geschichte erzählst, die dich nicht nur bremst, sondern auch ungesund ist. Die Herausforderung besteht also darin, immer mal wieder Zeit und Energie darin zu investieren, eigene Denkkonstrukte aufzubrechen – oder zumindest ein wenig umzubauen.

Frage 2: Was steckt hinter der Geschichte?

Schau deine eigenen Geschichten genauer an und prüfe zwei Dinge:

1. Wirkt diese Geschichte wie eine Selbstsabotage, die wichtige Veränderungen verhindert?

Teste deine Geschichte, die du dir erzählst mit Fragen wie: „Behindert meine Erzählung notwendige Veränderung?“, „Behindert meine Erzählung, dass ich zufrieden bin?“ …

2. Das eigene Bewusstsein schärfen und klarer sehen

Für viele Menschen gilt das Motto: „Ich bin busy, also bin ich“. Also heißt es: noch schnell dies erledigen, dorthin hetzen, um nicht zu spät zum nächsten Termin zu kommen. Das Leben im Außen und für das Außen ist das Problem. Die Herausforderung liegt darin, diesen Lärm herauszufiltern und nach innen zu schauen. Die Suche beginnt im Innen. Was genau ist mir wichtig? Was will ich wirklich?

Dabei hilft es, immer mal wieder innezuhalten und auf dich selbst zu hören. Was sagt meine innere Stimme dazu? Stimmt die überhaupt mit meiner Geschichte überein? – Wir haben selbst einen ziemlich guten Bullshit-Detektor – wenn wir es denn zulassen.

Frage 3: Wie könnte meine neue Geschichte aussehen?

Die Geschichten, die wir uns selbst erzählen, können wir auch neu formulieren. Wenn deine alte Geschichte dich nicht stärkt, wenn sie reine Selbstsabotage ist und überfällige Veränderungen verhindert, dann hast du die Freiheit, daran zu arbeiten. Du kannst dich für eine neue, nützlichere, ermutigendere Geschichte entscheiden.

Um das zu tun, müssen wir uns eingestehen, dass unsere Selbsterzählungen häufig nicht hilfreich sind, weil sie unser Wachstum als Person, unsere Gesundheit, unser Lernen oder was auch immer nicht unterstützen, sondern zurückhalten. Diese Selbsterzählungen formen unser Denken, das dann zu einem Bollwerk wird – unabhängig davon, was möglicherweise wirklich wichtig ist. Das Leben und die damit einhergehenden Veränderungen werden dich immer überraschen, oftmals unangenehm, wenn du dich an den gewohnten Denkbahnen und den lang erzählten Geschichten festklammerst.

Um Gewohnheiten und Denkmuster, die wir uns angeeignet haben, zu verändern, müssen wir etwas mehr wollen als die Eier aus Woody Allens Anekdote. Wir müssen uns danach sehnen, mit der Realität in Kontakt zu sein. Der Weg, um den Kontakt herzustellen, ist der konstruktive Zweifel an den Geschichten, die wir uns selbst erzählen.

Wir müssen die Eier aufgeben.

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