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Fehlschläge

Dem Fehlschlag den Stachel ziehen

Ja, es stimmt: Peter und ich haben in unseren Büchern schon gefühlt hundert Mal darüber geschrieben. Und ich weiß auch, dass du es längst verstanden hast.

Was ich meine: Wenn etwas schief läuft in einem typischen Projekt in einer typischen Organisation dann ist die typische Reaktion der typische ausgefahrene Suchfinger: WER hat das gemacht? WER ist der Schuldige?

Klar weißt du, dass das keine vernünftige Fehlerkultur ist. Natürlich hast du längst kapiert, dass eine solche Reaktion die Angst vor Fehlern erhöht und dass nichts innovationsfeindlicher ist, als die Angst vor Fehlern. Dir ist längst klar, dass es darum geht, aus Fehlern zu lernen und nicht sie zu bestrafen, denn eine Organisation, in der sich niemand etwas traut, ist wettbewerbstechnisch gesehen tot.

ABER: Da draußen ist dieses Thema eben noch immer die ganz große Nummer. Denn obwohl es alle verstanden haben, gibt es noch immer ein riesiges Umsetzungsdefizit. Oder um es mit Georg Wilhelm Friedrich Hegel zu sagen: „Das Bekannte überhaupt ist darum, weil es bekannt ist, nicht erkannt.“

Angst ist der Schlüssel

Wer einen Fehler macht, sieht schlecht aus. Einen Bock zu schießen, das ist die Karrierebremse Nummer eins! Der Satz „aus Schaden wird man klug“ hält bei aller Einsicht dem Realitäts-Check in den meisten Unternehmen einfach nicht stand. Fehler machen in Wahrheit unattraktiv, Fehler sind in Wahrheit teuer, Fehler sind in Wahrheit nicht gewollt, Fehler soll in Wahrheit keiner machen. DAS ist die herrschende Doktrin in den meisten Unternehmen – und alles andere sind schöne Sonntagspredigten.

Es ist also ganz offensichtlich alles andere als einfach, dem Fehlschlag den Stachel zu ziehen.

Meine Frage ist darum: Wie kann ich GANZ KONKRET eine innovationsfreundliche, sinnvolle, praktikable Fehlerkultur errichten?

Die Antwort: Innovationskultur ist kein Ratgeberthema – Das heißt: Es gibt kein Patentrezept! Ich weiß nicht, wie es ausgerechnet in deiner Organisation funktionieren wird. Ich kann es gar nicht wissen.

Aber ich kann dir zumindest zwei Anregungen geben und dich inspirieren, sie zu adaptieren, dir daraus etwas Passendes für deine Organisation zu bauen und sie weiterzuentwickeln.

Kern beider Ideen ist folgende Erkenntnis: der hartnäckige Widerstand gegen eine experimentierfreudige Innovationskultur hat keine rationale, sondern eine emotionale Ursache. Fehler zu machen fühlt sich schlecht an und macht Angst. Experimente sind per se risikobehaftet, denn sie können schief gehen. Und das tut weh. Und bringt keine Anerkennung.

Was also tun?

1. Differenziere Fehlschläge!

Denn während die meisten Menschen in einer Organisation sehr gut Erfolge erkennen und benennen können, fällt es ihnen fast immer sehr schwer Fehlschläge zu differenzieren. KPIs runterbeten – kein Problem. Aber Fehlschläge? Die fühlen sich IMMER schlecht an.

Definiert darum einerseits „gute“ Fehlschläge: Sie sind clever, notwendig, intelligent, erfolgreich, lehrreich, wertvoll und erwünscht. Und definiert andererseits „schlechte“ Fehlschläge: Sie sind gefährlich, teuer, sinnlos, dumm und unbedingt zu vermeiden.

Die entscheidende Frage ist also: Bei welcher Sorte Fehlschläge sollte man sich in der Organisation auf die Schulter klopfen? Also zum Beispiel bei einer neuen Produktidee, die sehr gut ausgedacht und geplant war, aber dennoch bei den Testkunden gefloppt ist. Genau solche wertvollen, sinnvollen, lehrreichen Fehlschläge sollten unternehmensweit geteilt werden.

Ziehe also eine klare, verständliche Grenze und definiere ein Gebiet, innerhalb dessen Fehlschläge „clevere Fehlschläge“ sind.

Fragen, die dabei helfen können:

  • Was genau macht einen Fehlschlag bei euch im Unternehmen zu einem „cleveren Fehlschlag“?
  • Woran erkennt man bei euch einen „dummen Fehlschlag“?
  • Welche Vorgehensweise oder welche Prozesse charakterisieren einen cleveren Umgang mit Risiken?
  • Welche Beispiele gibt es in der Organisation für „clevere Fehlschläge“?

2. Belohne „clevere Fehlschläge“!

Und zwar zusätzlich zu den Innovationserfolgen! Das ist eine sehr wirksame und nachhaltige Botschaft an alle, die unterstreicht, welches Verhalten erwünscht und gewollt ist.

Mit „belohnen“ meine ich übrigens nicht Boni oder Prämien. Warum ich Individualprämien ablehne, darüber habe ich hier geschrieben. Viel wirksamer ist eine Form von sozialer Anerkennung. Ein prägnantes Beispiel dafür kommt vom indischen Mischkonzern Tata:

Im Rahmen des „Innovista-Programms“ werden dort jährlich die besten Innovationen und die smartesten Fehlschläge ausgezeichnet. Letztere werden mit dem sogenannten „Dare to try award“ prämiert.

Im Jahr 2007, dem ersten Jahr dieser Idee, gab es in dieser Kategorie gerade mal zwölf Teams, die sich um den „Dare to try award“ beworben haben. Das typische Zögern …

Aber dann kam der Moment, der sehr viel in Bewegung gebracht hat: Ratan Tata, der damalige CEO, kam auf die Bühne und gratulierte den Gewinnern des Innovationspreises ebenso wie den Gewinnern des „Dare to try awards“. Beides in einem Zug. Er stellte damit die smarten Fehler symbolisch mit den Erfolgen auf eine Stufe. Das ist eine mächtige Botschaft!

Sieben Jahre später hat sich die Zahl der Teams, die sich um diesen Preis beworben haben, mehr als vervierzehntfacht! Die öffentliche Gratulation hat enorm dazu beigetragen, dass sich die Wahrnehmung der „cleveren Fehlschläge“ im Unternehmen gewandelt hat.

Der dümmste Fehler

Die Wechselwirkung ist klar: Die Belohnung cleverer Fehlschläge ist für eine Kultur der Risikobereitschaft unerlässlich. Und eine solche Kultur hat wiederum positive Auswirkungen auf die Anzahl der Innovationsideen, die entwickelt und vorangetrieben werden. Und das stärkt wiederum die Position des Unternehmen und dessen Zukunftsfähigkeit …

Also: Alle wollen innovativ sein. Aber nur wenige Organisationen tolerieren Fehlschläge. Und nur wenige Organisationen haben eine echte Lernkultur, die Fehler als Lern- und Wachstumschance anerkennt. Es gibt aber keine Innovationskultur, die diesen Namen auch verdient, wenn Fehlschläge verboten sind.

Wer ein Innovator sein will, der muss seine Leute so entwickeln, dass sie im Schlaf herunterbeten können, was einen cleveren Fehler von einem dummen Fehler unterscheidet.

Und es muss gelingen, den Mitarbeitenden die soziale Anerkennung für die gewünschten, cleveren Fehlschläge zu geben, die sie verdienen.