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William Muir Experiment Superhühner

Superhühner – warum sie im Unternehmen nichts verloren haben

Man macht die Tür auf und spürt den besonderen Spirit! – Beim After-Work-Event im Rahmen unserer Rebels-at-Work-Initiative war ich neulich zu Gast bei einem wirklich außergewöhnlichen Unternehmen in Berlin.

Warum sind die so gut?

Warum arbeiten die so ausgezeichnet zusammen?

Wie machen die das?

Haben die einfach nur die Besten der Besten eingestellt?

Oder sind es doch eher die Strukturen, die super funktionieren und die die Mitarbeitenden so glänzen lassen?

Diese Fragen habe ich mir nach der Veranstaltung gestellt. Eine interessante Antwort findet sich in einem Experiment, das der Evolutionsbiologe William Muir an der Purdue University im US-amerikanischen Bundestaat Indiana durchgeführt hat … und zwar mit Hühnern.

Superhühner – knallharte Auslese!

Die Produktivität von Hühnern kann man im Gegensatz zur Produktivität von Menschen ziemlich leicht messen. Nämlich mit Hilfe der Anzahl der gelegten Eier.

Um herauszufinden, was Hühner produktiver macht, machte Professor Muir folgendes Experiment: Da Hühner natürlicherweise in Gruppen leben, bildete er zwei unterschiedliche Gruppen: In der ersten Gruppe versammelte er durchschnittliche Hühner und in der zweiten Superhühner.

Für die Gruppe der Superhühner wählte er gezielt die Höchstleisterinnen aus, also die produktivsten Hühner, die die meisten Eier legten. In der Gruppe der Superhühner pflanzten sich also nur die produktivsten Exemplare fort. Bei den Durchschnittshühnern hingegen gab es keine Selektion: Sie durften sich unabhängig von ihrer Produktivität fortpflanzen wie sie lustig waren.

Nach sechs Generationen ergab sich ein überraschendes Bild: Die Gruppe der durchschnittlichen Hühner war gesund, vollgefiedert und mit einer höheren Leistung im Vergleich zur ersten Generation. Ganz anders sah es bei der Gruppe der Superhühner aus: Dort waren nur drei am Leben geblieben. Alle anderen wurden zu Tode gepickt.

Die höhere Produktivität der Superhühner ging einher mit der Fähigkeit, sich gegen andere durchzusetzen. Die gezielte Selektion verstärkte die Aggression und das Konkurrenzverhalten dann noch einmal von Generation zu Generation. Wer also im ständigen Konkurrenzkampf ist, setzt sich zwar auf individueller Ebene durch, schadet aber der Gruppe als Ganzes.

Die Zusammenarbeit muss sich verbessern!

Das Superhühner-Experiment legt den Finger in die Wunde: In einer Kultur der individuellen Höchstleistung wird der Konkurrenzkampf befördert – und es entstehen dysfunktionale Teams.

Was ich in Unternehmen sehe, ist oftmals geradezu zynisch. Da werden Höchstleister ausgewählt, eingestellt, protegiert und bonifiziert, es gibt Rankings und jede Menge gezielt geschürten internen Wettbewerb. Und wenn sich dann diese strukturelle Schlagseite in schlechter Zusammenarbeit und dementsprechend schlechten Ergebnissen auswirkt, dann wird das auch noch den Mitarbeitern zum Vorwurf gemacht: „Die Zusammenarbeit muss sich verbessern!! Dieses ständige Gegeneinander führt doch zu nichts!“

Diese implizite Unterstellung, es läge am mangelnden Willen der Leute zur Zusammenarbeit, ist wirklich zynisch. Überall heißt es: Seid teamfähig! Identifiziert euch mit dem Gesamtunternehmen! Lernt voneinander! Teilt Wissen!

Die tatsächlich existierenden Strukturen im Unternehmen fördern hingegen die Superhühner und rufen den anderen Mitarbeitern zu: Setzt euch im internen Wettbewerb durch! Seid besser als euer Kollege! Sichert euch eure individuelle Prämie!

Schwache Teamergebnisse haben ihren Ursprung unserer Erfahrung nach überhaupt nicht darin, dass die Mitarbeiter zur Zusammenarbeit nicht in der Lage wären oder es intellektuell nicht verstehen würden. Es liegt fast immer an den Superhühner-Strukturen!

Sechs klare Gedanken

Folgende Punkte gebe ich zu bedenken:

1. Unternehmen sind Orte der Kooperation

Unternehmen existieren nicht, um Individuen eine Bühne zu bereiten, sondern weil es Aufgaben gibt, die man eben nur gemeinsam erledigen kann. Somit sind Unternehmen per Definition Orte der Zusammenarbeit. Dabei ist Zusammenarbeit nicht die Addition von Einzelleistungen, sondern ein Zusammenspiel unterschiedlicher Qualifikationen, Kenntnisse und Erfahrungen, die sich ergänzen und von unterschiedlichen Rollen, die ineinandergreifen. 1+1 ergibt in Unternehmen eben nicht nur 2 sondern 3.

2. Team vor Individuum

Wer die Aufforderung zur besseren Zusammenarbeit ernst meint, muss sich von Diven und Superhühnern, die sich durch ein hohes Maß an Konkurrenzdenken und aggressive Durchsetzungstechniken „auszeichnen“, konsequent trennen! Diese Konsequenz fehlt in vielen Unternehmen: „Aber seine/ihre Zahlen stimmen doch … ich kann mich doch nicht von meinen besten Leuten trennen!“

In Ordnung, aber wer die Einzelleistung gut gebrauchen kann, muss dann auch konsequenterweise Einzelkämpferplätze für Einzelkämpfer schaffen und sie aus dem Team herausnehmen. Und zwar rechtzeitig, bevor die Einzelkämpfer entweder den Teamgeist zerstören oder ein starkes Team sich gegen die schädlichen Einzelkämpfer wehrt und sie kaltstellt.

3. Einzelboni sind giftig

Mit einem nur auf individueller Ebene beruhenden Erfolgsmaßstab gibt es keine Anreize zu kooperativem Verhalten. Wer will, dass Menschen Verantwortung für das Ganze übernehmen, muss individuelles Antreiben und individuelles Belohnen beenden. Der muss klarmachen, dass es nicht um individuelle Leistung, sondern nur um den gemeinsamen Erfolg geht. Wer Zusammenarbeit fordert, darf nicht Einzelleistung explizit anreizen.

4. Auch das Recruiting muss das berücksichtigen

Jürgen Klopp hat es schon vor einem Jahrzehnt auf seine Art auf den Punkt gebracht: „Ich würde niemals ein Arschloch, das überragend kicken kann, verpflichten.“

Klopp hat das Spiel als das verstanden, was es ist: ein Mannschaftsspiel. Auch in Unternehmen gilt, dass eine Ansammlung der besten Leute nicht automatisch zu Kooperation und Austausch von Wissen führt und das befördert, worauf es ankommt: zufriedene Kunden. Erfolgreiche Unternehmen funktionieren nicht durch die Addition der Besten, sondern durch die Kombination der Geeignetsten und der Zusammenpassenden. Durch die Verknüpfung von Talenten, Charakteren, Erfahrungen und Temperamenten.

Und hier müssen sich alle Personalverantwortlichen an die eigene Nase fassen: Was passiert im Bewerbungsprozess? Wer bekommt den Zuschlag? Steht Zusammenarbeit wirklich an erster Stelle oder ist es am Ende doch nur ein nettes Add-on? Fachliches kann man lernen – der Wille, mit anderen zusammenzuarbeiten und sich in den Dienst des Teams zu stellen, ist aber zuallererst eine persönliche Einstellung, eine Haltung.

5. Hände weg von Rankings und anderen Vergleichslisten

Sie machen aus Kollegen Konkurrenten. Kooperation wird torpediert. Der Gewinn des einen ist der Verlust des anderen. Das Ziel ist dann, den Anderen nach irgendeinem Maßstab zu übertreffen. Fördert das Kooperation und in Co-Creation entwickelte neue Ideen? Begeisterte Kunden? Garantiert nicht, weil die Energie im internen Wettbewerb gebunden ist und im Unternehmen Misstrauen und Konkurrenzdenken wachsen.

6. Klarheit schaffen

Es ist ein Fehler, strukturelle Probleme auf Individuen zu übertragen. Es sind die institutionellen Strukturen, Prozesse und Entscheidungen, die Menschen prägen. Es mag oft wie ein Problem aussehen, das den Menschen betrifft oder das von einem einzelnen Menschen ausgeht („die arbeiten nicht zusammen“, „die geben ihr Wissen nicht weiter…“). Tatsächlich verbirgt sich dahinter ein strukturelles Problem.

Seid keine Superhühner-Zuchtstation!

Wer die folgenden Fragen ehrlich beantwortet, kommt dem Superhuhn-Dilemma in eigenen Unternehmen auf die Spur:

  • Was führt zum Silodenken in unserem Unternehmen?
  • Was lässt uns unkooperativ und egoistisch werden?
  • Was erschwert die Zusammenarbeit?
  • Welche Strukturen, Prozesse oder Instrumente stimulieren das Gegeneinander?
  • Ist es in meinem Interesse, wenn ein Kollege versagt?
  • Ist es in unserem Interesse, wenn eine andere Abteilung versagt?
  • Spielen Rankings und Vergleichslisten eine wichtige Rolle bei der Bonifizierung, Beförderung, etc.?
  • Wenn ich kooperiere: Wird das wahrgenommen? Wird das wertgeschätzt?

Dass viele Unternehmen Superhühnerzuchtstationen sind, ist aber auch kein Wunder: Das Prinzip Einzelleistung ist in der Schule früh gelernt. Dass viele Unternehmen sich dann an diesem Prinzip orientieren, ist nur logisch.

Aber das daraus resultierende aggressive Gegeneinander ist eine Verschwendung von Energie, Kraft und Lebensfreude. Organisationen leiden darunter. Kunden leiden darunter. Mitarbeitende leiden darunter. Und die Kreativität leidet darunter.

Lasst uns deshalb daran arbeiten, andere Organisationen zu schaffen – und nicht andere Menschen!