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„Pay later. I trust you.“

Es gibt Laufstrecken, die man so schnell nicht vergisst. Jerusalem am frühen Morgen ist so eine. Rund vier Kilometer, einmal um die Stadtmauer. Plus einem traumhaften Sonnenaufgang über den Hügeln der Altstadt. Wir waren schon auf dem Rückweg zum Hotel, als wir diesen alten Araber an seinem Brotstand sahen. Die Sesamringe sahen lecker aus. Die wären jetzt das perfekte Frühstück. Aber leider hatten wir kein Geld dabei…

Da sagte der Brotverkäufer doch glatt, wir sollten später zahlen. Er vertraue uns.

Wir ließen uns die Sesamringe schmecken und machten später, gegen Mittag, noch einen Umweg auf der Fahrt zu unserer Vortragsveranstaltung, um dem Mann seine 2 Schekel zu geben. Bloß war er jetzt nicht mehr da. Wir waren ratlos! Er hatte uns vertraut, dass wir wiederkommen. Für uns stand es außer Frage, dass wir unsere Schulden begleichen wollten. Also kamen wir abends noch mal wieder. Aber kein Brotverkäufer weit und breit. Schließlich fragten wir den Mann am Nachbarstand. Sein Kollege sei erst morgen wieder da, sagte der. Wir mussten aber am nächsten Morgen schon früh zum Flughafen und zurück nach Deutschland. Also gaben wir schließlich dem Standnachbarn das Geld und baten ihn, es am nächsten Tag weiterzureichen. Niemals hätten wir es fertig gebracht, aus Jerusalem abzureisen, ohne die 2 Schekel zu bezahlen.

Hatten wir nicht Wichtigeres in Jerusalem zu tun, als wegen 2 Schekel mehrfach die Strecke zum Brotstand zurückzulegen? Sicher. Doch es ging nicht nur um das Geld, sondern darüber hinaus um Vertrauen. Dieser alte Mann hatte uns, zwei völlig Fremden, die möglicherweise nie wieder an diesem Stand vorbei kommen würden, vertraut. Einfach so.

Wir erzählen dieses Erlebnis aus Jerusalem aus einem einfachen Grund: Dauerhafte Beziehungen funktionieren nicht, weil allein die geschäftliche Basis stimmt oder ein Vertrag alles regelt. Sie funktionieren, weil die Leute ihrem Gegenüber vertrauen.

Vertrauen zahlt sich aus. Und zwar nicht nur in Form von Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit, sondern auch und vor allem in Form von Unternehmenserfolg.

Warum?
Vertrauen ist eine entscheidende Zutat dafür, dass Menschern ihr Bestes geben.

Schon deshalb sollte das Thema Vertrauenskultur ganz oben auf der Agenda eines jeden Unternehmens stehen. Und genau hier liegt aus unserer Sicht eine der größten Paradoxien im Wirtschaftsleben: Keine Führungsetage würde ernsthaft etwas dagegen haben, die Produktivität der eigenen Mitarbeiter zu erhöhen. Aber das soll in einem Kontext geschehen, in dem kontrolliert, geregelt und alles haarkleingenau festgelegt wird. Das ist das genaue Gegenteil von Vertrauen!

Anwesenheitslisten.
Zeiterfassung.
Verbindliche Richtlinien.
Detaillierte Stellenbeschreibungen.
Exakt geregelte Ermessenspielräume…

Wenn den Mitarbeitern Ausgaben nach freiem Ermessen bis zur Höhe von maximal 7 Euro 50 gestattet werden, lässt das kaum auf Vertrauen in das Urteilsvermögen oder die Integrität der Mitarbeiter schließen.

Eine solche Kultur der permanenten Kontrolle sorgt für selbst erfüllende Prophezeiungen: Mitarbeiter werden schließlich feststellen, dass die einzige Möglichkeit zur Unabhängigkeit – und zum Frustabladen – darin besteht, Regeln zu brechen und die Kontrollen möglichst clever auszuhebeln.

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Quelle: SPUREN STATT STAUB von Förster & Kreuz
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