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Raum für Experimente

„Lass uns die Sache mal umdrehen“, sagt der Psychiater und setzt sich selbst in die Gummizelle …

Klingt wie ein Arztwitz, ist aber keiner.

Die Geschichte, die sich tatsächlich zugetragen hat, ist die Geburtsstunde des Law of Requisite Variety, auch bekannt als Ashbys Gesetz. Das kommt immer dann ins Spiel, wenn es um Komplexität geht.

Aber erstmal der Reihe nach.

Wir schreiben die 40er Jahre. Als Patient in die Psychiatrie eingewiesen zu werden, war damals eine düstere und inhumane Angelegenheit. Psychopharmaka kamen kaum zum Einsatz, da sie überwiegend noch nicht erfunden waren. Die Menschen wurden also „verwahrt“. Entsprechend laut ging es in einer Nervenheilanstalt zu.

William Ross Ashby, der das Barnwood House Hospital in Gloucester leitete, war es zu inhuman, alle brüllenden Patienten in einen Beruhigungsverwahrraum, auch Gummizelle genannt, zu stecken. Also drehte er den Spieß einfach um und richtete sich in einem solchen Raum ein Büro ein, in dem er in Ruhe arbeiten konnte. Out of the box Denken in Bestform. I love it!

Asbhy war nicht nur ein kluger Kopf, der ungewöhnliche Lösungen ersann, sondern auch ein brillanter Psychiater und Universalwissenschaftler. Er gilt als Vater des kybernetischen Gesetzes, ohne das es bei der Beherrschung der Komplexität nicht geht. Der Durchbruch in Sachen Erkenntnis zur effizienten Steuerung und Regelung komplexer Systeme gelang ihm in besagter Gummizelle.

Das Law of Requisite Variety, auch Ashbys Gesetz genannt, besagt: „Je größer die Varietät eines Systems ist, desto mehr kann es die Varietät seiner Umwelt durch Steuerung vermindern.“ Verkürzt ausgedrückt: „Nur Vielfalt kann Vielfalt absorbieren.“

In Management-Sprache übersetzt: Je größer die Vielfalt der Maßnahmen, die einer Organisation zur Verfügung stehen, desto mehr Störungen kann die Organisation bewältigen. Was umgedreht bedeutet:

Eine Organisation wird scheitern, wenn das Repertoire an möglichen Antworten nicht so groß ist wie das Repertoire an Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert wird.

Experimente und die Kosten-Nutzen-Ratio

Wer Zukunft gestalten will, braucht also jede Menge neuer Ideen. Dies erfordert vor allem eine ausgeprägte Kultur des mutigen Handelns – und viel Spielraum für Experimente. Nur so lässt sich das Repertoire möglicher Antworten erweitern.

Die Natur ist ein gutes Beispiel: Wer unter einer Eiche steht, sieht, dass der Boden voller Eicheln ist. Effizienzgepolte Zeitgenossen fragen sich natürlich: „Warum verschwendet dieser Baum so viel Energie? Die meisten Eicheln keimen doch nie!“

Ja, das ist so. Die Eiche weiß nicht, wo der fruchtbare Boden ist und die richtige Kombination aus Erde, Feuchtigkeit und Nährstoffen. Also bedeckt sie den Boden mit Eicheln, obwohl die meisten nicht keimen.

Übertragen auf Organisationen bedeutet das, mit möglichst geringem Kostenrisiko kontinuierlich in Experimente zu investieren. Und dann zu sehen, was „keimt“ und was nicht.

Hier kommt das Prototyping ins Spiel. Wobei „Prototyp“ im weitesten Sinne auch ein neuer Prozess oder eine neue Vorgehensweise sein kann – eben alles, was unausgereift ist und noch nicht auf Herz und Nieren getestet wurde. Warum Prototyping so wichtig ist, leuchtet ein: Wenn etwas sichtbar und erlebbar ist, können Menschen darauf reagieren, Feedback geben und Verbesserungsvorschläge machen.

Kaum jemand beherrscht das so gut wie Ideo. Das Unternehmen ist eine weltweit tätige Design- und Innovationsberatung und gilt als einer der Pioniere des Human Centered Design. Wer die Unternehmenszentrale in Palo Alto besucht, kann eine Ausstellung von Objekten vergangener Projekte besichtigen. Dort steht ein großer transparenter Behälter voller Plastikteile, die alle entfernt an eine Computermaus erinnern. Des Rätsels Lösung: Es sind alles Prototypen der Computermaus.

Die Ausstellung der Fehlversuche verdeutlicht ein sehr wichtiges Prinzip: du kannst viel Zeit und Energie in die Suche nach dem bestmöglichen Ergebnis stecken. Oder du schraubst fünf oder sechs Prototypen zusammen, lässt sie auf die Menschheit los und schaust, welche Reaktionen kommen. Dann nimmst du das Feedback und entwickelst den nächsten Prototypen. „Bei der raschen Produktion von Prototypen geht es darum, zu handeln, ohne alle Antworten zu kennen. Es geht darum, Chancen beim Schopf zu ergreifen, sich vorwärts zu bewegen, hin und wieder ein wenig zu stolpern und schließlich doch ans Ziel zu gelangen“ sagt Tom Kelley, einer der bekanntesten kreativen Köpfe der internationalen Design- und Innovationsberatung.

Was der Behälter voller fehlgeborener Computermäuse auf einen Blick illustriert, ist in der offiziellen Lesart von Ideo ein fünfstufiger Prozess: Beobachtung, Brainstorming, schnelles Prototyping, Feinabstimmung und schließlich Umsetzung. Nach dieser Methode sind alle Innovationen bei Ideo entstanden.

Ideo und die Kunst des Experimentierens – 3 Lektionen

  1. Was immer du tust, tue es schnell, kostengünstig und einfach. Das fängt vielleicht nicht mit einem Prototypen an, sondern mit einem Storyboard, das du mit anderen teilen kannst. Oder ein Rollenspiel rund um eine Kundenerfahrung, mit dem du etwas zeigen kannst.

  2. Und dann heißt es: Schnell Feedback einholen! Ein Prototyp, ein Storyboard – auch wenn es nur grob zusammengebastelt ist – und raus zu den Anwendern oder Kunden und sie darauf reagieren lassen.

  3. Wenn das Feedback da ist, kommt der nächste Schritt: Eine brauchbare Lösung entwickeln. Das ist jetzt kein zusammengezimmerter Prototyp mehr, sondern etwas Robustes, das tatsächlich funktioniert. Aber es ist noch nicht perfekt, es braucht noch mehrere Iterationen. Aber jetzt haben die Anwender oder Kunden die Möglichkeit zu sagen: „Das ist es, was wir wollen.“ Und ganz wichtig: Es muss Spaß machen. Es bietet sich an, Freiwillige einzusetzen und ihnen zu ermöglichen, mit Freude und Herzblut das Experiment voranzutreiben.

Experimente – less talk more action

Wenn ich in einem Vortrag über die Umsetzung von Experimenten spreche, schlage ich häufig eine Methode vor, die von Michael Schrage, Innovations-Guru und Fellow am MIT entwickelt wurde: die 5×5 Methode.

Das Vorgehen ist leicht  zu erklären: Fünf Teams mit jeweils fünf Personen aus unterschiedlichen Bereichen der Organisation erhalten fünf Tage Zeit, um ein Portfolio von je fünf Experimenten pro Team zu entwickeln, deren Durchführung nicht länger als fünf Wochen dauert und nicht mehr als 5.000 Euro kostet.

Was dieses Vorgehen so gut macht: Statt darüber zu fabulieren, dass es eine gute Idee wäre, eventuell mal mehr zu experimentieren, geht es sofort in die Aktion. Zudem ist es eine Art doppelter Wettbewerb: Erstens wetteifern die verschiedenen Teams miteinander, wer die vielversprechendsten Experimente ins Rennen schickt und zweitens sind die fünf Experimente von jedem Team miteinander im Wettbewerb. Die fünf Experimente pro Team haben zudem den Effekt, dass die Beteiligten schneller ein Experiment loslassen, das nicht funktioniert, weil sie noch ein paar andere im Köcher haben.

Der Hebel ist enorm: Der Einsatz von Zeit, Geld und Arbeitsstunden ist relativ gering, während die Ergebnisse für die Organisation von extremer Relevanz sein können. Was zudem sehr sympathisch ist: Bei der 5×5 Methode ist nichts in Stein gemeißelt. Die Kernidee lässt sich beliebig variieren. Fünf Teams erscheint eine Nummer zu groß? Dann nimm drei! Du willst keine 5.000 Euro pro Team investieren? Dann nimm 3.000 Euro!

Experimente als Kultur und Geisteshaltung

Die Offenheit für Experimente ist eine Geisteshaltung, für die man sich entscheiden muss. Die Zutaten: Pioniergeist plus Entdeckungsfreude plus Mut zum Risiko. All das lässt sich nicht durch Seminare, Arbeitskreise oder anderen Rituale der Angestelltengesellschaft heraufbeschwören, sondern entsteht dort, wo mutige und engagierte Menschen gemeinsam Neues vorantreiben wollen.

Die Frage ist also: Wer wird gefeiert? Daumen hoch, wenn jemand mutig experimentiert – oder Daumen runter?

Wird das Experimentieren als Ineffizienz eingestuft? Oder als Herzschlag der Zukunftsfähigkeit?

Die Reaktion offenbart die Kultur einer Organisation – und letztlich auch das ganz persönliche Mindset der Führenden: Ist das Experimentieren nur ein Lippenbekenntnis – oder wird es tatsächlich gelebt, geschätzt und gefeiert? Gilt die Zukunftsfähigkeit als eines der wichtigsten Ziele – oder wird sie lebendig begraben unter operativem Kleinklein?

 


Vortrag Experimentieren als Superkraft

Zukunft braucht Systemstörer, die Routinen und Denkmuster sprengen. Weil die Zukunft von Unternehmen und ganzen Branchen nicht mehr durch Effizienzsteigerungen gestaltet wird, sondern durch Innovationskraft, mutiges Experimentieren und sich-selbst-in-Frage-stellen.

>> Mehr Infos zum Vortragsportfolio von Anja

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