„NEIN, ohne diese blöden 100 Euro gehen wir hier nicht raus!“, knurrt Peter. Das Geld war eigentlich mittlerweile egal, aber hier geht es ums Prinzip.
Wir sind in einem großen Möbelhaus, um eine Matratze zu kaufen. Große Freude: An der Matratze, die wir kaufen wollen, hängt ein Schild mit der Aufschrift „Sonderaktion – 100 Euro Preisnachlass“.
Wir kaufen in der Fachabteilung und bekommen einen Ausdruck in die Hand, mit dem wir an der Kasse bezahlen sollen. Allerdings steht auf dem Ausdruck der volle Betrag drauf, ohne Rabatt. Wir fragen zur Sicherheit nochmal nach bei dem Mitarbeiter. Seine Antwort: „Ja, das ist schon richtig so. Das geht nicht anders. Der Rabatt wird an der Kasse automatisch abgezogen. Das sind die Regeln.“
Das sind die Regeln? Das klingt schon irgendwie merkwürdig. Und tatsächlich: Nach dem Schlange stehen an der Kasse werden die 100 Euro eben nicht automatisch abgezogen. Als wir das reklamieren, sagt die Kassiererin: „Oh, tut mir leid, aber da müssen Sie nochmal in die Fachabteilung, damit die Ihnen schriftlich bestätigt, dass die Matratze reduziert ist. Ich sehe das nicht im System. Also kann ich die 100 Euro hier nicht abziehen. Das sind die Regeln.“
Das ist ja wie in Kafkas Schloss!
Wir also wieder gefühlte drölfzig Kilometer zurück in die Fachabteilung gestapft. Schlange stehen. Aussage des Mitarbeiters: „Oh, tut mir leid, da kann ich nichts für.“ Bestätigung ausgefüllt. Stempel. Wieder zurück zur Kasse. Schlange stehen.
Als wir endlich mit dem Bezahlen an der Reihe sind, verlangt die Kassiererin den vollen Betrag und sagt: „Sie bekommen von mir einen Stempel auf die Bescheinigung, mit der gehen Sie zum Serviceschalter, dort bekommen Sie dann das Geld. Tut mir leid. Das sind die Regeln.“
Mittlerweile ist unsere Laune auf dem Gefrierpunkt angelangt. Vollkommen entnervt bezahlen wir den vollen Betrag, schnappen uns die nochmal gestempelte Bescheinigung und stürmen zum Serviceschalter. Wieder Schlange stehen. Als wir an der Reihe sind, sagt der Mitarbeiter: „Ich stelle Ihnen eine Gutschrift über die 100 Euro aus, die können Sie dann an der Kasse einlösen. Tut mir leid. Ich verstehe Ihren Ärger. Aber das sind die Regeln.“
Das ist der Moment, als Peter rumbrüllt, alle umstehenden Kunden pikiert zu Boden schauen und ich dem Mitarbeiter die Gutschrift wortlos aus der Hand reißt.
An der Kasse stehen wir nochmal mit der Gutschrift Schlange und bekommen dann die 100 Euro ausgezahlt: „Tut mir leid, aber das …“
„Ja, das sind die Regeln!“
Wir haben an diesem Tag auch eine Regel geschaffen. Sie lautet: Diesen Laden nie wieder betreten!
Und nein, das ist keine Schelte der Mitarbeiter. Die haben entsprechend der existierenden Regeln korrekt gehandelt. Dahinter steckt ein ganz anderes Problem als etwa mangelnde Kundenorientierung der Mitarbeiter.
Klare Prozesse und Regeln sind wichtig, aber …
Viele Unternehmen sind derart auf Effizienz, Produktivität und Prozessoptimierung fokussiert, dass sie vollkommen verlernt haben, mit Ausnahmen von den Regeln umzugehen, also mit allem, was außerhalb der Standardprozesse läuft. Innerhalb der Prozesse läuft alles wie geschmiert. Aber das echte Leben verlässt eben immer mal wieder gerne die Standardroute. Und dann braucht es Flexibilität – völlig ohne Rücksicht auf die Regelbücher.
Gerade Ausnahmesituationen beeinflussen die Kundenerfahrung nachhaltig. Denn genau dann wird es meistens emotional. Denkt nur mal daran, wie viele Handyvideos vom Serviceverhalten amerikanischer Airlines im Social Web kursieren!
Wir sagen nicht, dass es keine klaren Regeln geben sollte. Aber es sollte eben auch Freiraum für die Mitarbeiter und Vertrauen in die Mitarbeiter geben! Sie brauchen die Erlaubnis, flexibel agieren zu können, wenn sich gerade mal wieder eine Situation ereignet, die so im Anweisungshandbuch nicht vorgesehen ist.
Und dafür gibt es drei gute Beispiele
– Die Metro Bank aus Großbritannien hat die Regel: „Einer für Ja, zwei für Nein.“ – Das bedeutet: Wenn ein Kunde ein Problem hat oder eine Beschwerde oder einen besonderen Wunsch, darf jeder Mitarbeiter das eigenständig und ohne Rücksprache lösen („Einer für Ja“). Wenn der Mitarbeiter aber glaubt, dass der Kunde nicht im Recht ist und die Antwort der Bank „Nein“ lauten sollte, dann braucht es dafür zwei, nämlich außerdem noch die Rücksprache und Zustimmung des Chefs.
– Nordstrom, eine Warenhauskette in den USA hat folgenden Regelkatalog: „Regel Nummer eins: Setzen Sie Ihren gesunden Menschenverstand in allen Situationen ein. Weitere Regeln gibt es nicht.“
– Im Ritz Carlton Hotel hat jeder Mitarbeiter mit Kundenkontakt ein Budget von 2000 US-Dollar pro Gast zur Verfügung, um eigenverantwortlich und unmittelbar Beschwerden regeln zu können.
Nur leider handeln die meisten Organisationen eher wie das Möbelhaus. Aber egal. Worum es uns geht, das seid ihr und eure Haltung: Wenn ihr glaubt, dass Menschen im Grunde gut sind und eure Organisation gute Leute einstellt, dann habt ihr nichts zu befürchten, wenn ihr euren Mitarbeitern Freiraum gebt.
Also: Vertraust du dem gesunden Menschenverstand deiner Mitarbeiter und Kollegen? Oder vertraust du den Regeln und Handbüchern mehr?
Was hindert dich daran, eine der Ideen dieser drei Positivbeispiele zu adaptieren und zu übernehmen?