„Management für eine neue Zeit“ – So lautete das Thema des Vortrags, den Anja vor einiger Zeit in Dresden hielt. Ihre Kernaussage: Gebt den Mitarbeitern mehr Freiraum! Lasst sie mehr selbst entscheiden! Arbeitszeitbeginn und -ende, Urlaub, Gehälter, Personalentscheidungen – das alles wird fast überall hierarchisch vorgegeben, aber bei alldem können die Mitarbeiter selbst oft die besseren Entscheidungen treffen. Wer ein lebendiges und anpassungsfähiges Unternehmen will, muss seinen Mitarbeitern W-E-S-E-N-T-L-I-C-H mehr Freiraum und Selbstbestimmung gewähren, als es derzeit noch üblich ist.
Auf dem Boden der Tatsachen
Das ist unsere Überzeugung! Doch dann passiert das, was auch in Dresden passierte: Auf der anschließenden Podiumsdiskussion sagte ein hochrangiger Banker sinngemäß: „Na, kommen Sie, das ist ja alles schön und gut. Situative Führung, Abwählen von Führungskräften, Mitarbeiter, die ihr Gehalt selbst bestimmen. Nett! Ein Wunschtraum. Aber so funktioniert die Realität nicht!“
Und anschließend, am Buffet, sagte er zu Anja in leicht süffisantem Unterton: „Arbeiten Sie doch mal ein paar Wochen bei uns mit … dann werden Sie schnell auf dem Boden der Tatsachen landen.“
Mitarbeiter wie unmündige Kinder behandeln?
Dieser Banker steht mit seiner Skepsis nicht allein. Aber weißt du was? Wir glauben einfach nicht, dass es ein unumstößliches Naturgesetz gibt, demzufolge Mitarbeiter wie unmündige Kinder behandelt werden müssen!
Wir glauben es nicht, weil es unserem Menschenbild fundamental widerspricht. Wir glauben es aber auch deshalb nicht, weil es mittlerweile etliche Unternehmen – auch in Deutschland – gibt, die einen ganz anderen Boden der Tatsachen haben als dieser Banker und all die anderen Skeptiker.
Pioniere der Selbstbestimmung
Es gibt viele, viele hoch spannende Gegenbeispiele, die sich seit einigen Jahren etablieren und mit voller Kraft entfalten. In Büchern, Dokumentarfilmen, Vorträgen und überall im Internet kann man sie finden. Wenn man sie sehen will. Hier nur zwei kleine Beispiele:
Die Mitarbeiter der hamburgischen Digitalagentur Elbdudler legen ihr Gehalt selbst fest. Und natürlich kennen alle Mitarbeiter nicht nur die Gehälter aller Kollegen, sondern auch alle anderen Zahlen des Unternehmens. Volle Transparenz ist die Voraussetzung für eine vernünftige Selbsteinschätzung.
Und beim hannoverschen IT-Unternehmen Praemandatum kann jeder Mitarbeiter zum Entscheider werden – allerdings immer nur bezogen auf ein bestimmtes Thema. Wer bei einem Thema führt, wird per Wahl bestimmt – was impliziert, dass auch Führungskräfte abgewählt werden können, sogar der Gründer und Geschäftsführer selbst.
Nicht Weltverbesserei sondern passende Antworten
Bei diesen beiden Unternehmen – und auch bei den meisten anderen Pionieren, die sich auf völlig neue Weise organisieren – geht es übrigens nicht um Weltverbesserei. Sondern es geht darum, passende Antworten zu finden in einer Arbeitswelt, in der sich alles immer schneller und tiefgreifender verändert.
Wer glaubt, das alles ignorieren und ausblenden zu können, lebt gefährlich. Weil sich früher oder später der Überblick und die Kontrolle in der Hierarchie verflüchtigen, so wie bei Martin Winterkorns Super-GAU. Oder weil der autoritäre Führungsstil die besten Talente verscheucht und dann einfach die Qualität fehlt, um zu überleben, so wie bei Patriarch Anton Schlecker.
An die Hand nehmen, ohne festzuhalten. Loslassen ohne fallen zu lassen.
Wenn du in deinem Team etwas verändern willst, drei Hinweise.
Erstens: Es geht nicht von heute auf morgen.
Zweitens: Es gibt keine Patentrezepte, Anleitungen und Blaupausen – Du musst dir selbst etwas einfallen lassen, wie bei dir mehr Freiheit und Selbstbestimmung Einzug halten könnten.
Und Drittens: Ob du Firmenchef bist oder ein Team mit zwei Kollegen leitest, das hier ist die wahre Kunst: Menschen an die Hand nehmen, ohne festzuhalten – und loslassen ohne fallen zu lassen.
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Hier noch ergänzende Infos, wenn du mehr erfahren möchtest:
Elbdudler: Die Zeit
Praemandatum: BrandEins; Wired