Die Vortragsanfrage per E-Mail war leider maximal unkonkret. Also fragte ich nach: Gibt es einen konkreten Termin? Was ist der Anlass? Welches Budget ist vorhanden? Wo soll das Ganze stattfinden?
Antwort: „Das kann ich momentan nicht sagen … Weil, der Chef ist im Urlaub … Ich melde mich …“
Na, gut, so was kommt vor.
Drei Wochen gingen ins Land. Bevor es dann aber tatsächlich weiterging, fand ich eine Mail in meinem Posteingang. Im Anhang: Ein fünfseitiges Non-Disclosure-Agreement. Und der Hinweis, dass man nach dessen Unterzeichnung ins Gespräch einsteigen könne.
Meine Antwort: So können wir nicht zusammenarbeiten. Wenn schon einfachste Auskünfte, die möglicherweise sogar dazu führen, dass wir erst gar nicht zusammenkommen (wenn der Termin nicht passt, die Erwartungen des Kunden an den Vortrag oder das Budget), nicht ohne NDA beantwortet werden können, dann verzichte ich gern auf das Vortragsengagement.
Um meiner Absage noch eine konstruktive Wendung zu geben, schlug ich vor: „Sprechen Sie doch mal mit Ihrem Chef und schlagen eine Änderung des Vorgehens vor, so dass bei einem Austausch von unkritischen Informationen künftig auf NDAs verzichtet wird.“
Ich fügte hinzu: „Wissen Sie, das ist doch genau das konstruktive Infragestellen des Status quo, um das es mir geht.“
Am anderen Ende der Leitung war es einen Moment lang still und dann kam die Gegenfrage: „Interessanter Vorschlag. Aber warum sollte mein Chef auf solche Vorschläge eingehen?“
Die sind ja nicht dämlich!
Die Frage ist verständlich, allzu verständlich. Und ich höre sie oft. „Warum sollte eine Organisation den Störenfrieden, die den Status quo hinterfragen, eine Bühne bereiten?“
Störenfriede, Querulanten, Rebellen – solche Vokabeln verraten eine Abwehrreaktion, die in vielen Unternehmen verbreitet ist: Das sind unbequeme Geister, die den normalen Betrieb stören und sich auch noch anmaßen, die Sinnhaftigkeit einer Corporate Policy zu hinterfragen.
Ein solches Verhalten ist allenfalls in Stellenanzeigen erwünscht. Der „normale Betrieb“ sieht so etwas nicht vor. Schon klar, die Meinung der Mitarbeitenden wird in gelegentlichen Zufriedenheitsbefragungen ermittelt. Ja, und hin und wieder gibt es auch unternehmensweite Aufrufe, neue Ideen einzureichen. Ja, natürlich. Aber der normale betriebliche Alltag präferiert das Umsetzen und Funktionieren – und nicht das Hinterfragen und Experimentieren!
Und natürlich heben diejenigen, die jahre- oder sogar jahrzehntelang entsprechend sozialisiert wurden, auch dann nicht die Hand, wenn ausdrücklich um ihre Meinung gebeten wird. Sie sind ja nicht dämlich! Diejenigen, die dennoch mutig genug sind, eine Meinung zu vertreten, die der Norm, der Masse, der Routine und der Regel widerstrebt, werden dabei oft entmutigt. Resignieren irgendwann.
Und das stinkt mir zunehmend!
Irgendwann reicht es!
Ich höre diese Geschichten immer wieder. Und ich bekomme immer wieder mit, wie gute Leute lieber den Mund halten und ihre Ideen, ihre Vorschläge, ihre konstruktive Kritik zurückhalten. Und mir geht das mehr und mehr auf den Geist. Ich finde, dass es allerhöchste Zeit ist, diesen Menschen Gehör zu verschaffen.
Ich nenne solche Menschen: Unternehmensrebellen. Rebels at Work!
Ihr Ziel ist es nicht, Randale zu machen oder als Krawallmacher, Dauerdemonstrierer und Ich-bin-aus-Prinzip-dagegen-Typen möglichst viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Ich meine auch nicht die extrem nervigen Dauerdiskutierer, deren langatmig vorgetragene Einwände und Beanstandungen mehr durch Naivität als durch Intelligenz glänzen.
Worum es mir geht, sind Menschen mit provokativer Kompetenz. Sind die Abweichler, deren Ideen die Gestaltung des Neuen vorantreiben. Ich meine diejenigen, die einen substanziellen Beitrag dazu leisten wollen, dass ihre Organisation heute und in Zukunft besser wird. Kundenorientierter wird. Innovativer wird. Diese Menschen sind weder Sonderfall noch lästige Störung, sondern vielmehr wichtige Geburtshelfer des Neuen. Denn das Neue kommt als Widerspruch zur Normalität zur Welt, und Widerspruch ist auch das Wesen der Innovation.
So gesehen, ist ein Unternehmensrebell ein wertvoller kritischer Geist, ein produktiver Andersmacher und ein mutiger Veränderer.
Und solche Typen brauchen wir dringender denn je! Und zwar aus drei Gründen:
1. Wir brauchen mehr Engagement!
Der Gallup Engagement Index dokumentiert seit Jahren den traurigen Zustand, dass weniger als ein Sechstel der Mitarbeitenden in Deutschland mit sehr hohem Engagement dabei sind. Weltweit sieht es übrigens nicht besser aus. Das ist frustrierend! Führungsteams suchen verzweifelt nach den Gründen. Dabei liegt der Grund auf der Hand: Menschen, die glauben, kein zu Gehör finden oder die glauben, dass ihre Vorschläge nicht respektiert werden, verabschieden sich in die geistige Frühverrentung. Oder sie suchen sich ein neues Spielfeld, wo ihre Vorschläge und Ideen geschätzt werden.
Was für ein Wahnsinn, dass die meisten Organisationen mehr menschliches Potenzial verschwenden als sie tatsächlich nutzen.
Natürlich haben Menschen Ideen. Oftmals sogar sehr gute Ideen! Und das ist doch auch ganz normal, ein Ergebnis der täglichen, intensiven Beschäftigung mit ihrer Materie. Kein Mensch kann auf Dauer an etwas arbeiten, ohne auf Ideen zu kommen! Der Punkt ist aber: Lohnt es sich, diese Ideen auch zu äußern?
2. Wir brauchen eine nachhaltige Innovationskultur!
Neue Ideen nehmen keine Rücksicht auf Hierarchien, Organisationsstrukturen oder den Kalender des Vorstands. Nichts gegen den gelegentlichen Innovationswettbewerb oder den Hackathon. Solche Initiativen können ein Anstoß, ein Zündfunke sein. Wer aber eine nachhaltige Innovationskultur will, muss allen die Werkzeuge und Methoden zur Verfügung stellen, um Ideen zu entwickeln und dafür sorgen, dass diese auch Gehör finden, aufgenommen und weitergeführt werden.
Menschen mit neuen Ideen, kritischen Anregungen und Änderungsvorschlägen dürfen nicht als Störenfriede gebrandmarkt werden, sondern müssen als wichtiges „Warnsystem“ für das Unternehmen verstanden und wertgeschätzt werden, die deutliche Hinweise darauf liefern, dass die aktuellen Prozesse und/oder das Geschäftsmodell möglicherweise eine erhebliche Neuausrichtung benötigen. Sie liefern einen wichtigen Beitrag für die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens.
3. Wir brauchen kein So-läuft-das-hier-nun-mal!
Natürlich, Führungskräfte hegen möglicherweise die Befürchtung, dass solche Unternehmensrebellen sich zu Widerstandsnestern zusammenschließen und damit den Betriebsfrieden nachhaltig stören könnten. Aber die Realität ist, dass diese Rebellen bereits in den Werkshallen, Büros und Amtstuben rumlaufen! Sie sind ohnehin da! Und sie werden immer unzufriedener. Viele von ihnen haben das Potenzial, positive Kräfte für die Veränderung in der Organisation zu werden. Aber wenn sie ignoriert oder marginalisiert werden, hält sie das nicht nur davon ab, mitzudenken und den Status quo zu hinterfragen, es verhindert zugleich, dass sie überhaupt Neues wagen. Auf diese Weise wird ein System aufgebaut, wo alles Neue, das von der geltenden Norm abweicht, im Keim erstickt wird.
Sei ein Rebell!
Das Problem ist: Positive Abweichler zu fördern, ist die schwerste Entscheidung für eine Organisation, weil diese Menschen die heilige Ordnung stören. Auf Leisetreter und Ballflachhalter zu setzen, ist deshalb in so mancher Organisation die vermeintlich bessere Wahl.
Das ist Wahnsinn! Wer heute nichts hinterfragt und nichts Neues wagt, wird morgen garantiert scheitern, denn die Spielregeln werden nicht mehr die alten sein. Deshalb sollten Organisationen diese Rebellen wertschätzen. Sie sollten ihre Kraft, ihre Ideen und ihren Mut nutzen.
Der konstruktive Widerspruch sollte nicht das letzte, sondern das erste sein, was begrüßt und gefördert wird!
Ich weiß, dass unter euch viele solcher konstruktiven Rebellen sind. Ich weiß das aus vielen Gesprächen und aus euren Rückmeldungen. Ich will euch ermutigen. Ich will, dass ihr gehört und gesehen werdet und dass ihr die Chance bekommt, eure Ideen einzubringen.
Und das meine ich ernst. Darum habe ich zusammen mit Peter Kreuz die Initiative Rebels at Work gegründet.