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Kill your company

Als der Will.i.am auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos gefragt wurde, was man von der Musikbranche in Sachen Umgang mit Geschäftsmodelldisruption lernen könne, war seine Antwort: „Meine Lektion ist: Euer Platz ist nicht garantiert.“

Zack, mit dieser Aussage hat er mitten ins Schwarze getroffen. Natürlich hat es sich mittlerweile herumgesprochen, dass es in vielen Branchen neue Wettbewerber gibt, die mit ihren digitalen Geschäftsmodellen für die Platzhirsche brandgefährlich sind, weil sie bestehende Wertschöpfungsketten von Grund auf verändern.

Trotzdem fällt die digitale Transformation der eigenen Organisation in vielen Fällen so schwer, weil man zu sehr damit beschäftigt ist, Geld zu verdienen, wie man es immer getan hat. Sich selbst zu kannibalisieren ist schlicht undenkbar.

Das ist das Kernproblem.

Das Boot versenken oder das Boot verpassen

Die beiden Marketingprofessoren Peter Dickson und Joseph Giglierano skizzieren in einem Artikel für das Journal of Marketing ein sehr kluges und sehr starkes Bild: Sie argumentieren, dass Führungskräfte und Unternehmer zwei unterschiedlichen Arten von Risiken ausgesetzt sind.

Das erste Risiko nennen sie „das Risiko, das Boot zu versenken“. Das könnte passieren, wenn eine Organisation einen mutigen Schritt macht, der sich als Fehltritt herausstellt und schiefgeht. Mit diesem Risiko umzugehen, darin sind die meisten Unternehmen sehr gut. Dafür gibt es detaillierte Business-Pläne, Finanz-Pläne, Marktforschung und Risikoabschätzungen.

Und genau das bringt uns zum zweiten Risiko: Viele Organisationen sind so sehr mit dem Absichern und Vermeiden von Risiken beschäftigt, dass sie schlicht und ergreifend fast jeden einzelnen mutigen Schritt verhindern. Das führt zur Erstarrung und zum Innovationsstau und dazu, dass sie im Markt den Anschluss verlieren. Das nennen Dickson und Giglierano „das Risiko, das Boot zu verpassen“.

Ich finde diese Metapher großartig. Denn sie macht deutlich, dass eine zu defensive Risikovermeidung keineswegs am Ende zu einem niedrigeren Risiko führt, sondern nur eine Verschiebung des Risikos auf eine andere Ebene nach sich zieht.

Unternehmen, die zu sehr mit dem Absichern des Status quo beschäftigt sind, wiegen sich in einer trügerischen Sicherheit. Je sicherer sie sich sind, dass sie das Boot nicht versenken werden, desto mehr übersehen sie schlichtweg das Risiko, das Boot zu verpassen.

Gesunde Paranoia!

Es geht also darum, das neue Boot rechtzeitig zu erwischen, ohne das alte zu versenken! Dazu brauchen Veränderer eine wichtige Zutat, nämlich eine gesunde Paranoia. Damit ist gemeint, trotz gegenwärtigem Erfolg sich nicht entspannt zurückzulehnen, sondern konstant nach möglichen neuen Wettbewerbern Ausschau zu halten, die gefährlich werden könnten. Bei Google gilt deshalb der Satz: „Die nächste Suchmaschine ist nur einen Klick entfernt.“ In Mountain View weiß niemand, wie der Newcomer aussehen könnte. Aber der Gedanke, dass irgendwer irgendwo auf der Welt an einer neuen Suchmaschine arbeitet, hält die Teams bei Google auf den Zehenspitzen.

Gesunde Paranoia und ein offener und auch selbstkritischer Blick auf das eigene Unternehmen sind die Zutaten, um hellwach zu bleiben. Dazu gibt es eine augenöffnende Übung, die ich in meinen Keynotes immer wieder gerne empfehle.

Übung: Kill your Company!

Kürzlich habe ich sie mit einem Team aus der Versicherungswirtschaft durchgeführt. Selten habe ich eine so engagierte und leidenschaftliche Mannschaft erlebt!

Die Übung heißt: „Kill your company!“

Und sie geht so: In einem buntgemischten Team nehmt ihr an, dass ihr der zukünftig wichtigste Wettbewerber eures Unternehmens seid. Ihr stellt euch vor, ihr würdet die erklärte Zielsetzung verfolgen, eure eigene Firma aus dem Markt zu werfen!

Überlegt eine Stunde oder gern auch länger, wie ihr das eigene Geschäftsmodell untergraben und euer Business zerstören könntet. Die Ideen können von „Wir sind ein neuer Konkurrent und verkaufen das gleiche Produkt für einen Drittel des Preises“ über „Wir sind ein Wettbewerber, der eine Plattform kreiert, an der niemand in unserer Branche vorbeikommt“ bis zu „Wir haben eine neue Technologie, die dafür sorgt, dass Kunden das Angebot der anderen gar nicht mehr brauchen“ reichen. Bittet die Teilnehmer nun, alle ihre „Zerstörungsideen“ auf ein Whiteboard zu schreiben.

Es geht nicht darum, ob es am Ende wirklich so schlimm kommt oder nur halb so schlimm oder gar nicht. Ziel ist also nicht Realismus oder eine exakte Prognose, was passieren wird. Es geht darum, probeweise vom Schlimmsten auszugehen und daraus wichtige Schlussfolgerungen abzuleiten.

Das wird eine ziemlich lebhafte Diskussion, soviel ist sicher!

Nach einer Stunde (oder auch länger) wechselt ihr gedanklich wieder zurück auf eure Seite und macht euch klar: „Da draußen gibt es jemanden, der sich genau diese Gedanken macht, wie wir sie uns gerade gemacht haben.“ Und das ist keine Panikmache, sondern gesunder Realismus!

Dagegenhalten!

Nun geht es um den zweiten Teil der Übung: die gesammelten Erkenntnisse aufzuarbeiten und nutzbar zu machen.

Zuerst ordnet ihr die Erkenntnisse, um Klarheit herzustellen und euren Fokus zu schärfen. Beispielsweise könntet ihr die gesammelten Ideen von der kleinsten bis zur größten Bedrohung ordnen. Oder ihr ordnet sie von der am leichtesten bis zur komplexesten und am schwierigsten zu bewältigenden Bedrohung. Das werden in der Regel nicht nur einzelne Punkte, sondern eher Cluster sein.

Dann stellt euch die Frage: Was sind die drei größten und wahrscheinlichsten und darum wichtigsten Bedrohungen? Das sind die Themenfelder, die sofortige Aufmerksamkeit erfordern. Sobald es einen Konsens über die wichtigsten Bedrohungen gibt, sammelt Vorschläge, wie ihr dagegen halten könntet.

Der Vorteil daran: Ihr bleibt in der Rolle des Gestalters. Ihr könnt agieren noch bevor ihr durch neue Angreifer zur Reaktion gezwungen werdet. Ihr geht vom disruptiven Szenario aus, noch bevor es überhaupt begonnen hat. Ihr leitet Gegenmaßnahmen ein, noch bevor die Krise greift.

Von heute auf morgen

Klar ist: Der Wandel, in dem wir gerade stecken, wird sich noch weiter beschleunigen. Und er vollzieht sich nicht mehr länger schrittweise und in eine bestimmte Richtung – dann wäre er leicht vorhersehbar.

Nein, die Bedingungen, unter denen Unternehmen bestehen müssen, verändern sich diskontinuierlich. Abrupt. Umsturzartig.

Deshalb bleibt schlichtweg nicht mehr die Zeit, Versäumtes nachzuholen. Wer heute eine entscheidende Wegbiegung verpasst, wird möglicherweise nie mehr den Anschluss finden.

Deshalb sollte „Kill your company!“ nicht eine einmalige Übung sein, sondern fester und regelmäßiger Bestandteil eures Kalenders.

Macht einen Termin!
Macht die Übung!

Ich garantiere euch eine der lebhaftesten Diskussionen, die ihr in letzter Zeit hattet.

Legt los!