Ja, ich oute mich ganz ungeniert.
Ich habe Fehler gemacht. Jede Menge Fehler sogar. Ich habe Seminare entwickelt, für die es nur wenig Nachfrage gab. Ich habe Vorträge entwickelt, getestet und wieder komplett eingestampft. Ich habe Kapitel für ein neues Buch geschrieben, die dann nach nochmaligem Lesen in der digitalen Papiertonne gelandet sind. Ich habe in Unternehmen investiert, die nicht gehalten haben, was ich mir von ihnen versprochen hatte.
Jedes Mal, wenn ich einsehen musste, dass sich meine schöne Idee als Flop entpuppt hat, war das kein Hochgefühl, sondern hat sich ziemlich mies angefühlt.
Aber ich weiß auch: Wenn du Neues wagst, ausprobierst und experimentierst, dann ist eines ganz sicher: Zwischendurch wirst du stolpern und auch mal auf die Nase fallen. Und das wird mehr als einmal passieren. Aber wenn du zwischendurch auf die Nase fällst – früher oder später wirst du Erfolg haben. Garantiert. Vorausgesetzt, du probierst, experimentierst und wagst trotzdem immer weiter!
Eine innovative Umgebung muss also eine außergewöhnlich hohe Fehlertoleranz aufweisen. Braucht eine stabile Fehler- und Lernkultur.
Was allerdings nicht heißt, dass es intelligent wäre, denselben Fehler zweimal zu machen. Nicht jeder Mist ist Dünger.
Worum es geht, ist der konstruktive Umgang mit Fehlschlägen, Fehleinschätzungen und Irrtümern.
Fuck-up Nights
Jedes Mal, wenn ich mit Führungskräften spreche, höre ich Variationen der immergleichen Aussage: „Wir brauchen dringend eine bessere Fehlerkultur … wir müssen lernen, offen über Irrtümer und Fehler zu sprechen und schnell davon zu lernen…“
Also im Prinzip so wie bei den Fuckup-Nights. Dort stellen sich Menschen auf die Bühne und berichten ganz offen und ungeschönt davon, wie sie ihren Job an die Wand gefahren haben, als Gründer gescheitert sind oder mit ihrem Projekt eine Bauchlandung gemacht haben. Und welche Lehren sie daraus gezogen haben. Dass Menschen sich trauen, so offen über ihre Fehlschläge zu sprechen, wird vom Publikum beklatscht, als wären sie Rockstars.
Das Konzept ist so erfolgreich, dass die offizielle Webseite der Fuckup-Nights inzwischen Ableger in über 300 Städten in 90 Ländern listet. Und es zieht weitere Kreise: inzwischen hat dieses Format auch Einzug in Unternehmen gehalten, wo Mitarbeitende vor ihren Kollegen und Kolleginnen über Pleiten, Pech und Pannen sprechen.
Das ist schon mal ein sehr guter Ansatz, denn jeder vernünftige Mensch weiß: Fehler und Irrtümer sind integraler Bestandteil jeden Fortschritts. Wer die Fehlerquote bei neuen Lösungsansätzen auf null setzen will, schafft das nur, indem er alles Neue komplett verhindert.
So weit, so gut. ABER … Fuck Up Nights & Co. hin oder her – die Aussage „aus Schaden wird man klug“ hält dem Realitäts-Check in den meisten Unternehmen eben doch nicht stand: Fehlschläge, misslungene Versuche und Misserfolge machen unattraktiv. Sie sind stigmatisiert. Sie sind nicht gewollt. DAS ist immer noch herrschende Lehre in den meisten Unternehmen. Sich was zu trauen – dafür sind praktisch alle. Allerdings: Reden ist nicht Handeln. Für eine echte und tragfähige Fehler- und Lernkultur, die diesen Namen auch wirklich verdient, reicht es dann doch nicht.
Die mit Abstand beliebteste Sportart beim Umgang mit Fehlern ist der ausgefahrene Suchfinger:
– WER hat das versemmelt?
– WER trägt die Schuld?
Wenn aber die sofortige Schuldfrage im Vordergrund steht, dann werden Menschen alles tun, um sich diese Schuld erst gar nicht aufzuladen.
Die beste Fehlervermeidungsstrategie ist dann die Vermeidung von Verantwortung.
– Risiko eingehen? Nicht mit mir!
– Entscheidungen? Sollen „die da oben“ entscheiden!
– Eigenverantwortlich handeln? Ich bin doch nicht verrückt!
Natürlich haben die Führungsetagen längst kapiert, dass eine solche Reaktion die Angst vor Fehlern erhöht und dass nichts innovationsfeindlicher ist als eben diese Angst. Denn ein Unternehmen, in dem sich keiner mehr etwas traut, ist wettbewerbstechnisch gesehen tot.
Fehlerkultur oder Fehlerparanoia?
Wieso also diese Diskrepanz zwischen Anspruch und gelebter Realität? Und woher kommt eigentlich diese Fehlerparanoia?
Der Aufstieg der Null-Fehler-Kultur ist eng mit dem Industriezeitalter verwoben. Wo massenhaft produziert wird, sind Abweichungen von der Norm fatale Fehler, die es zu vermeiden gilt. Eine Maschine produziert zig tausend Einheiten pro Stunde – eine falsche Einstellung oder eine Nachlässigkeit kann dazu führen, dass die gesamte Produktion zunichte gemacht wird.
Doch was in der Massenfertigung ein probates Ziel ist, wird ein dickes Problem, wenn es um die Suche nach neuen Ideen und Lösungen geht. Wer Neues sucht, muss experimentieren, ausprobieren und ausgetrampelte Pfade verlassen. Auch auf die Gefahr hin, dass mal was schiefgeht.
Zwei Sorten Fehler
Einige grundsätzliche Klärungen, die für ein gemeinsames Verständnis wichtig sind:
Ein Fehler, der mit Absicht gemacht wurde, ist kein FEHLER, sondern SABOTAGE. Wenn ich also von Fehlern und Fehleinschätzungen schreibe, dann sind solche Dinge gemeint, die ohne Absicht passiert sind. Im Ergebnis haben sie eben dazu geführt, dass der Ist-Wert von einem zuvor als richtig definierten Zustand (Soll-Wert) abgewichen ist. Diese Festlegung ist sinnvoll, wenn es beispielsweise darum geht, Gefahren zu vermeiden oder Vorgaben in der Produktion einzuhalten. Die Soll-Ist-Abweichung ist dann ein Fehler.
Wenn es also eine sinnvolle Regel gibt, dann muss sie auch eingehalten werden. Dann ist es kontraproduktiv, darauf zu beharren, dass Fehler passieren dürfen.
Allerdings gibt es ein Gebiet, auf dem Misslingen nicht mit einem Fehler gleichzusetzen ist: bei Experimenten! Irrtümer und Fehlschläge sind die natürlichen Wegmarken auf der Suche nach neuen Lösungen. Dabei kann es weder Vorgaben in Form von einem Ist-Wert noch einem gewünschten Soll-Wert geben, weil beides unbekannt ist. Experimente sind immer der Aufbruch ins Neuland. Wenn es nicht funktioniert, ist es kein Fehler. Es hat nur nicht das gewünschte Ergebnis gebracht.
Was wir hierzulande dringend brauchen, ist eine kluge Differenzierung zwischen dummen Fehlern, aus denen wirklich keiner etwas lernen kann und produktiven Fehlern, die gemacht werden, weil jemand Dinge ausprobiert und vorantreibt. Auf letztere sollten wir lernen, stolz zu sein!
Bei einer Fehlerkultur geht also um eine Kultur des intelligenten Umgangs mit dem Fehlermachen.
In einer Welt, in der extrem schnelle Veränderung das neue Normal ist, kommen wir schlicht nicht mehr daran vorbei, kalkulierte Risiken einzugehen. Damit das nicht im Desaster endet, ist intelligentes Risikomanagement extrem wichtig. Es geht nicht darum, Hasardeuren das Wort zu reden oder sein Geschäft sorglos zu betreiben und Fehler einfach so in Kauf zu nehmen.
Aber es gibt eben verschiedene Sorten Fehler.
Wie erkennt man die und was passiert dann?
Schritt 1: Fehler differenzieren!
Während die meisten Mitarbeitenden sehr gut Erfolge erkennen und benennen können, fällt es ihnen häufig sehr schwer, Fehlschläge zu differenzieren. KPIs runterbeten – kein Problem. Aber Fehlschläge? Die fühlen sich IMMER schlecht an.
Darum ist es so wichtig, zu verstehen, was „gute“ Fehler sind. Diese Art von Pannen und Fehleinschätzungen sind notwendig, lehrreich, wertvoll und erwünscht. Und andererseits gilt es zu kapieren, was „schlechte“ Fehler sind: Das sind jene Fehltritte, Unterlassungen und Dummheiten, die schlicht gefährlich, teuer, sinnlos und unbedingt zu vermeiden sind.
Fragt euch also: Bei welcher Sorte Fehler sollte man sich in eurem Unternehmen auf die Schulter klopfen? Also zum Beispiel bei einer neuen Serviceidee, die sehr gut ausgedacht und geplant war, aber dennoch bei den Testkunden gefloppt ist. Genau solche wertvollen, sinnvollen, lehrreichen Fehler sollten unternehmensweit kommuniziert werden.
Es geht also darum, eine klare, verständliche Grenze zu ziehen und ein Gebiet zu definieren, innerhalb dessen Fehlschläge „clevere Fehler“ sind.
Fragen, die dabei helfen können:
- Was genau macht einen Fehler bei euch im Unternehmen zu einem „cleveren Fehler“?
- Woran erkennt man bei euch einen „dummen Fehler“?
- Welche Vorgehensweise oder welche Prozesse charakterisieren bei euch einen cleveren Umgang mit Risiken?
- Welche Beispiele gibt es in eurem Unternehmen für „clevere Fehler“?
Schritt 2: Clevere Fehler belohnen!
Belohnt clevere Fehler zusätzlich zu den Innovationserfolgen! Das ist eine sehr wirksame und nachhaltige Botschaft an alle Mitarbeitenden, die unterstreicht, welches Verhalten erwünscht und gewollt ist.
Mit „belohnen“ meine ich übrigens nicht Boni oder Prämien. Viel wirksamer ist eine Form von sozialer Anerkennung.
Leitbild Fehlerfreundlichkeit
Ein prägnantes Beispiel dafür kommt vom indischen Mischkonzern Tata: Im Rahmen des Innovista-Programms werden dort jährlich die besten Innovationen und die smartesten Fehlschläge ausgezeichnet. Letztere werden mit dem sogenannten „Dare to try Award“ prämiert.
Im Jahr 2007, dem ersten Jahr dieses internen Wettbewerbs, gab es in dieser Kategorie gerade mal zwölf Teams, die sich um den „Dare to try award“ beworben haben. Das typische Zögern …
Aber dann kam der Moment, der sehr viel in Bewegung brachte: Ratan Tata, der damalige CEO, kam auf die Bühne und gratulierte den Gewinnern des Innovationspreises ebenso wie den Gewinnern des „Dare to try Awards“. Beides in einem Zug. Er stellte damit die smarten Fehler symbolisch mit den Erfolgen auf eine Stufe. Das ist eine mächtige Botschaft!
Jahre später hat sich die Zahl der Teams, die sich um diesen Preis bewerben, mehr als vervierzehntfacht! Die öffentliche Gratulation hat enorm dazu beigetragen, dass sich die Wahrnehmung der „cleveren Fehlschläge“ im Unternehmen gewandelt hat.
Fehlerkultur: Hü oder hott?
Die Wechselwirkung ist klar: Die Belohnung cleverer Fehler ist für eine Kultur der Risikobereitschaft unerlässlich. Und eine solche Kultur hat wiederum positive Auswirkungen auf die Anzahl der Innovationsideen, die entwickelt und vorangetrieben werden. Und das wiederum stärkt die Position des Unternehmens und dessen Zukunftsfähigkeit …
Das ist interessant, weil es so ganz anders ist, als das übliche Vorgehen in Unternehmen. „Keine Überraschungen bitte!“, lautet das Credo. Man setzt auf den Sieg des Fehlerlosen. Perfektion ist das, was belohnt und befördert wird – nicht der Mut zum Ausprobieren.
Das hat nicht nur Auswirkungen auf die Unternehmenskultur, sondern auch auf das Verhalten der Menschen: Die Mitarbeitenden werden darauf gedrillt, kreative Irrtümer und Irrwege tunlichst zu vermeiden. Stattdessen versucht man, durch die Perfektionierung des bisherigen Vorgehens, die eigene Zukunftsfähigkeit abzusichern.
Viel Glück dabei!
Je ausgeprägter das Bemühen, umso härter wird der Aufprall in der Realität.
Hier ist ein Umdenken dringend erforderlich!
Der erste Schritt des Umdenkens ist, dafür zu sorgen, dass die Mitarbeitenden im Schlaf herunterbeten können, was einen cleveren Fehler von einem dummen Fehler unterscheidet. Der erste Schritt ist also ein Verstehen. Und um das von der Theorie in die Praxis zu holen, ist Tatas Schritt clever: Mitarbeitenden die soziale Anerkennung für die gewünschten, cleveren Fehlschläge zu geben, die sie verdienen.
Fehlerkultur: Beispiel Wissenschaft
Ein solches differenziertes Fehlerverständnis ist essenziell. Denn in einer Kultur, in der die Fehlervermeidung über die Chancenverwertung herrscht, gibt es keine Innovation. Fragen und irren, lernen und dann wieder von vorn – das ist die Voraussetzung für Fortschritt.
Das ist übrigens in der Wissenschaft selbstverständlich: Wenn Wissenschaftler ein Experiment durchführen, dann können alle möglichen Dinge passieren. Manche Ergebnisse stützen die Hypothese, manche widerlegen sie. Und manchmal kommt überhaupt kein Ergebnis raus, was auch schon wieder ein Ergebnis ist. Jedes Ergebnis ist ein Stück Information, das schlussendlich zu einer Antwort auf die Ausgangsfrage führt.
Ein weiterer elementarer Bestandteil des Prozesses der Forschungsarbeit ist es, sich in der Gemeinschaft mit anderen Forschenden über diese Fragen auszutauschen und über fehlgeschlagene Experimente zu sprechen. Für einen Wissenschaftler ist ein Experiment, das nicht das erhoffte Ergebnis gebracht hat, kein Beweis dafür, dass er ein schlechter Wissenschaftler ist. Im Gegenteil! Herauszufinden, dass eine Hypothese falsch ist, ist mindestens so wertvoll, wie herauszufinden, dass sie richtig ist.
Also: Fehlschläge sind einfach nur Informationen, die uns helfen, die richtige Antwort zu finden.
Ein missglückter Versuch hat nichts mit dir als Person zu tun! Ein fehlgeschlagenes Experiment, das sind nicht wir. Aber auch: Ein geglücktes Experiment, das sind ebenfalls nicht wir! Das alles sind Informationen, die uns helfen zu wachsen, besser zu werden und für das nächste Experiment besser gerüstet zu sein.
Fehlerkultur made in Helsinki
Die finnische Hauptstadt Helsinki ist der Sitz von Supercell, einem erfolgreichen Mobile Game Developer. Der Umgang mit fehlgeschlagenen Projekten? Sensationell gut!
Bei der Entwicklung von Mobile Games braucht es nämlich eine starke Kultur, die die notwendige Risikobereitschaft, den Mut, die Ausdauer und den Durchhaltewillen bestärkt und belohnt. Und es braucht Entwickler, die nicht an „ihrem Baby“ festklammern und es gegen alle „bösen Kritiker“ verteidigen, sondern die bereit sind loszulassen. Oh, und es braucht Rituale!
Bei Supercell gibt es folgendes Ritual:
Jedes Mal, wenn ein neues Mobile Game erfolgreich auf dem Markt gelauncht wird, kommen alle Beteiligten zusammen. Es gibt Bier und eine ordentliche Party …
Jedes Mal, wenn ein Mobile Game sich als nicht erfolgreich entpuppt – beispielsweise, wenn es nicht in den App Store kommt – und Supercell sich dazu entschließt, es einzustampfen, gibt es auch ein Ritual: Jetzt gibt es kein Bier, sondern es knallen die Sektkorken!
Das signalisiert:
- Das Projekt ist erledigt und wird „zu Grabe getragen“.
- Es ist Zeit, daraus zu lernen. Deshalb haben die Sektflaschen ein Blanko-Etikett, damit die Lehren, die aus dem nicht erfolgreichen Projekt gezogen werden, darauf notiert werden können.
CEO Ilkka Paananen sagt: „Wir sprechen einen Toast aus. Nicht auf das Scheitern selbst, sondern auf die Lehren, die wir aus diesem Scheitern ziehen.“
Ihr müsst ja nicht gleich den Weg von Supercell gehen und eine Party schmeißen. Wichtig ist, im Alltag über die Lerneffekte zu sprechen, die sich aus dem ergeben, was falsch gelaufen ist.
Wie wäre es, euer wöchentliches Teammeeting mit folgendem Statement zu beginnen: „Das habe ich letzte Woche versemmelt – und das habe ich daraus gelernt.“
Nur wer wagt, macht Fehler.
Nur wer Fehler macht, lernt.
Übrigens: Das gilt auch ganz generell. Die wichtigsten Lektionen, die wir in unserem Leben gelernt haben, haben wir nicht im Lehrbuch gelesen. Sie haben sich aus Fehleinschätzungen und Unachtsamkeiten ergeben. „Ich habe aus den kleinen Katastrophen gelernt“, sagt der Managementphilosoph Charles Handy.
So ist es: Wenn es Trophäen für die besten Fehler gäbe, wären bei mir die Regale voll damit.