Ein Restaurant in Varanasi - Der Fluch des Selbstverständlichen

Der Fluch des Selbstverständlichen – Ein Restaurant in Varanasi

Bei den Sprüchen, mit denen indische Unternehmer werben, haben wir inzwischen unsere ganz persönliche Hitliste. Den Vogel abgeschossen hat ein Restaurantbesitzer aus Varanasi, der potenzielle Kunden mit diesem Argument überzeugen will: „Yes, we are less dirty…“ 

Wir-sind-weniger-mies-als-der-Wettbewerb

Klar, dass wir diese Werbetafel fotografieren mussten! Der Subtext dieser Tafel ist nicht nur komisch, er steht stellvertretend für etwas, das wir als die ‚Wir-sind-weniger-mies-als-der-Wettbewerb‘-Marketingphilosophie bezeichnen. Kunden werden mit dem Argument bezirzt: „Kommen Sie zu uns, wir bieten Ihnen die gleichen stinknormalen Selbstverständlichkeiten wie alle anderen auch. Und sind sogar ein bisschen weniger mies als die anderen.“

Selbstverständlichkeit als Aushängeschild?

Unternehmen in unserem Kulturkreis lassen sich ohne Zweifel ausgeklügeltere Wortkonstruktionen auf den Leib schneidern: „Nur Gutes verdient den Namen Kraft“. So gewitzt hieß es auf der Website eines Lebensmittelherstellers. Dann gibt es noch Ohrwürmer, die durch ihre Melodie zur Legende geworden sind: „Hmmm, Melitta macht Kaffee zum Genuss“. Wieder andere Firmennamen bleiben mit Reimen im Gedächtnis haften: „Fruchtsaft machen, kann er, der Pfanner“.

Lebensmittel, die gut sind? Ein Kaffee, der gut schmeckt? Ein Fruchtsafthersteller, der Fruchtsaft herstellen kann? Moment mal! Das erwarten wir von JEDEMLebensmittel, von JEDEM Kaffee und von JEDEM Fruchtsafthersteller. Nackte Selbstverständlichkeit wird hier mit gewaltiger Fanfare hinaustrompetet.

Alles was Unternehmen machen oder auch kommunizieren, fällt in zwei Kategorien: Selbstverständlichkeit oder Dinge, die einen Unterschied machen.

Bewirkt etwas Außerordentliches!

Maßnahmen aus der Kategorie Eins führen dazu, dass der Laden funktioniert. Die aus der Kategorie Zwei hinterlassen beim Kunden eine unauslöschliche Erinnerung.

Eins ist Betriebswirtschaft – Zwei ist Erlebniswirtschaft.
Eins ist Dienstleistung – Zwei ist Begeisterung.
Eins ist Organisation – Zwei ist Überraschung.
Eins bringt Umsatz – Zwei bringt Umsatz plus Weiterempfehlung.
Eins ist Überleben – Zwei ist Erfolg.

Wir fragen uns: Wenn alle diesen simplen Filter anlegen und alle Selbstverständlichkeiten aussieben würden – was würde dann noch übrig bleiben?

Fußballvereine, die bei jedem Spiel ihr Bestes geben? Politiker, die an die Zukunft des Landes denken? Lehrer, die auf Kinder eingehen? Künstler, die Neues schaffen? – Alle würden plötzlich ganz schön leer da stehen! Denn sie tun nicht mehr und nicht weniger als das, was auch schon alle ihre Kollegen machen…

Der Filter

Und wie sieht es bei euch aus? Wenn ihr alle Dinge, die ihr Tag für Tag macht, durch diesen Filter jagt: Was bleibt übrig? Habt ihr am Ende des Tages mindestens eine Idee realisiert, die nicht von der Stellenbeschreibung vorgegeben war? Oder bestand der Tag aus E-Mails, Facebook, Meetings, Kaffee und dem Bearbeiten der unvermeidlichen Papierstapel mit Dringlichkeitsfaktor XXL?

Natürlich: Niemand kann 60 Prozent der Arbeitszeit damit verbringen, ungewöhnliche Dinge on top zu leisten. Es genügt, einmal am Tag etwas Außerordentliches zu bewirken. Und im Gegenzug ein paar unwichtige Dinge auf die To-Don’t-Liste zu setzen…