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Risikomanagement und Fehler

Vom besten Free-Solo-Kletterer der Welt lernen

Wenn der jetzt auch nur den kleinsten Fehler macht, ist er tot … dachte ich, als ich das atemberaubende Coverfoto auf einer alten Ausgabe der National Geographic sah.

Ich sortierte gerade meine Magazinsammlung, mal wieder befallen vom Fernweh-Virus, mit dem reiselustige Menschen wie ich zwangsläufig befallen sind. An die Ausgabe mit Alex Honnold auf dem Cover konnte ich mich gar nicht mehr erinnern. Dabei ist das Coverfoto wirklich atemberaubend: Der Mann steht mitten in der glatten, vertikalen Felswand des El Capitan im Yosemite National Park … Auf einem klitzekleinen Felsvorsprung, nicht größer als ein DIN-A4-Blatt. Er drückt sich mit dem Rücken gegen die Wand. Vor und unter ihm das Nichts. Kein Seil. Keine Sicherung. Schon beim Anschauen des Covers bekomme ich Höhenangst!

Überhaupt nicht lebensmüde

Dieser „verrückte Hund“ der Kletterszene ist Alex Honnold. Er ist der beste Free-Solo-Kletterer der Welt und hält zahlreiche Rekorde.

Du kannst dir die Fotos und Videos von ihm nicht anschauen, ohne dass dir früher oder später der Gedanke in den Kopf kommt, ob der Kerl einfach nur lebensmüde ist. Wie kann der so etwas wagen? Und wozu? – Er ist aber nicht lebensmüde. Er kalkuliert einfach kühl. Alex Honnold sucht die Gefahr und das Risiko, keine Frage, aber er betreibt eben auch ein sehr ausgetüfteltes und gut kalkuliertes Risikomanagement.

Wenn du jetzt denkst: Okay, das ist interessant, in Organisationen müssen wir auch Risiken managen. Vielleicht können wir was von diesem verrückten Kletterer lernen – dann liegst du goldrichtig!

Wer jetzt aber weiterdenkt: Klare Sache, von diesem Typen kann man sehr viel über die Null-Fehler-Kultur lernen, denn hätte er schon mal einen Fehler gemacht, wäre er tot – der springt mit seiner Schlussfolgerung zu kurz. Wer so denkt, hat weder Alex Honnold ganz verstanden, noch die Herausforderungen für Unternehmen heute.

Risikomanagement – zwischen Wagemut und kühler Kalkulation

Denn Null-Fehler-Kultur ist nur dann richtig und wichtig, wenn ein Unternehmen sich in absolut stabilen Märkten bewegt. Sobald Dynamik und Komplexität dazukommen, wenn sich Märkte rasch und unberechenbar verändern, wenn plötzlich neue Wettbewerber, neue Technologien, neue Rahmenbedingungen auftauchen – so wie es heute eben überall geschieht – dann führt fehlender Wagemut dazu, Chancen zu verpassen und sich selbst ins Abseits zu katapultieren.

Denn heute darf es nicht nur darum gehen, Risiken auszuschalten und Fehler zu vermeiden. Wir kommen nicht mehr daran vorbei, kalkulierte Risiken einzugehen. Damit das nicht im Desaster endet, ist intelligentes Risikomanagement extrem wichtig.

Und wenn wir genauer hinschauen ist das genau das, was Alex Honnold macht. Er klettert nicht einfach wild drauflos, sondern bereitet sich gründlich vor: Wenn Honnold free solo in eine Route einsteigt, hat er sie zuvor so oft mit Seilsicherung begangen, dass er sich sicher ist, die Schwierigkeiten absolut zu beherrschen – genau das gehört zu einem guten Risikomanagement dazu.

Kalkuliertes Risiko

Alex Honnold ist ein Inspirator in Sachen Wagemut. Aber eben auch in Sachen kalkuliertes Risiko. Übertragen auf die Wirtschaft: Es geht nicht darum, Hasardeure zu züchten oder sein Geschäft sorglos zu betreiben und Fehler einfach so in Kauf zu nehmen. Natürlich sollten wir auch zukünftig Fehler vermeiden.

Aber es gibt eben verschiedene Arten von Fehlern.

Und zwar einerseits Fehler, die kritisch sind und auf gar keinen Fall passieren dürfen. Dann nämlich, wenn das Unternehmen eine Steilwand gleich beim ersten Mal ohne Sicherung erklettern will. Und es gibt Fehler, die sind gut und hilfreich, wenn sie passieren, weil sie beim Lernen und Weiterentwickeln helfen. Dann nämlich, wenn kein tödlicher Absturz droht, sondern höchstens ein Sturz ins Seil mit ein paar Schrammen.

Auch aufgeben und umkehren ist nicht schlimm, wenn man sich mal zu weit vorgewagt hat: „Wenn mich eine Route einschüchtert, dann bereite ich mich entweder länger vor oder ich klettere sie nicht. Ich habe auch schon in 60 Meter Höhe gehangen und mich gefragt, was ich da gerade eigentlich tue. Dann bin ich einfach wieder runtergeklettert und heimgefahren“, sagt Alex Honnold.

Wir sollten verstehen, dass „Null Fehler“ kein absoluter Wert ist, sondern immer auch im Bezug zu anderen Werten steht wie Geschwindigkeit, Kundennutzen, Differenzierungspotenzial im Markt.

Wie viel Honnold steckt in einem Unternehmen?

Leider bieten traditionelle Unternehmensstrukturen herzlich wenig Anreiz dafür, überhaupt Risiken einzugehen. Wer als Angestellter dort vom eingefahrenen Standardweg abweicht, hat viel zu verlieren und wenig zu gewinnen.

Nur wenige Unternehmen tolerieren den Willen, kalkulierte Risiken einzugehen, noch weniger belohnen es.

Das ist schlimm!

Nichts zu riskieren ist heute der schlimmste Fehler – und der einzige, der bestraft werden sollte!