Es beginnt als Ausreißer.
Als Einzelding.
Ein Verhalten, das zwar nicht für gut befunden, aber toleriert wird.
Insbesondere dann, wenn das Verhalten von jemandem an den Tag gelegt wird, der seine „Zahlen bringt“, die „Quartalsziele erfüllt“. Dann werden die Augen verschlossen.
Aber Vorsicht: Dann zieht jemand anderes nach. Dann noch jemand und noch jemand. Weil niemand eingegriffen hat, um den Kurs zu korrigieren. Dann ist es zu spät. Es ist zur Kultur geworden. Das neue Normal. Das passiert in Organisationen ständig.
Arschlochfreie Zonen
Deshalb gebührt Joe Biden Respekt. Er macht aus seinem Arbeitsumfeld eine arschlochfreie Zone. Die dazugehörige Geschichte, die es nicht in die deutschen Nachrichten geschafft hat, aber weitläufig in den Sozialen Medien geteilt wurde, ist sehr erhellend. Sie ereignete sich kurz nach der Amtseinführung des US-Präsidenten. Biden hatte per Videokonferenz eine hohe Zahl von Staatsdienern vereidigt und gab dazu die folgende Ansage:
„If you’re ever working with me and I hear you treating another colleague with disrespect, talking down to someone, I will fire you on the spot.“
Sein hochgesteckter Anspruch ist es, „Anstand und Würde wiederherzustellen, die in den letzten Jahren gefehlt haben“.
Übrigens: Der Begriff „arschlochfreie Zone“ wurde von einem Stanford-Professor Bob Sutton in seinem Buch „Der Arschloch-Faktor – Vom geschickten Umgang mit Aufschneidern, Intriganten und Despoten in Unternehmen“ geprägt. Meine Wortwahl im Text und Titel korrespondiert mit der Haltung Suttons, der der Meinung ist, dass zivilisiertere Worte wie „Idiot“ oder „Mobber“ nicht stark genug sind, um das Ausmaß der Scheußlichkeit eines solchen Verhaltens zu vermitteln.
Kein Platz für diese Typen
Leute, die ein solches Verhalten an den Tag legen, müssen sich ändern oder sie haben keinen Platz in einer Organisation! Denn sie reproduzieren sich, infizieren andere und befallen so den Organismus des ganzen Unternehmens mit schlechtem Benehmen, negativem Klima und beißender Arroganz. Und sie sorgen dafür, dass die besten Leute das Unternehmen verlassen.
Drei klare Gedanken dazu:
1. Performance und Verhalten dürfen nicht voneinander getrennt werden
Um die eigene Organisation zur arschlochfreien Zone zu machen, braucht es eine entscheidende Weichenstellung im Kopf: Performance und Verhalten dürfen nicht voneinander getrennt werden. Aussagen wie „Er/sie ist zwar unausstehlich, aber bringt die Zahlen“, sind falsch. Entweder Herr oder Frau Unausstehlich ändern sich oder es gibt für sie keinen Platz in der Organisation. Punkt.
Warum diese Radikalität im Umgang mit Egomanen und soziale Analphabeten?
Das Vorleben ihres Verhaltens findet Nachahmer und Klone und vergiftet so die Kultur. Anders ausgedrückt: Ein individuelles Fehlverhalten kann zu einem kollektiven Fehlverhalten werden, genauso wie ein einzelner Funke einen Waldbrand entzünden kann.
Und das untergräbt die Produktivität insgesamt, erstickt Ideen, unterdrückt Initiative, forciert den Abgang der integren Personen, die ein solches Verhalten nicht länger tolerieren und wirkt sich in der Innen- und Außenwirkung auf Dauer extrem negativ aus. – Und dann stimmen die Zahlen insgesamt eben doch nicht mehr!
2. Wer duldet, macht sich mitschuldig
Wenn Arschlöcher geduldet werden, sendet das ein klares Signal: Das ist so in Ordnung! Das bedeutet: Diejenigen, die es dulden, sind für den Waldbrand in der gesamten Organisation mitverantwortlich.
Dabei muss es gar nicht nur böswilliges Verhalten sein, wie beispielsweise jemanden zu beleidigen, anzuschreien, zu erniedrigen oder ihn hinter dem Rücken schlecht zu machen.
Es können auch die vermeintlich „kleinen Dinge“ sein wie permanente Spätkommer oder Dauer-Handydaddler, die in Meetings sitzen und deren Verhalten toleriert wird. Oder die nervende Angewohnheit, Kollegen bei der Arbeit ständig zu unterbrechen oder Zusagen nicht einzuhalten. Letzteres fällt natürlich nicht so ganz in die Arschloch-Kategorie … aber auch hier gilt: Seid achtsam. Duldung ist Billigung. Man weiß irgendwie, dass es nicht richtig ist, aber stoppt es auch nicht. Und schwups – schon ist es das neue Normal!
3. Das nachträgliche Auflösen ist weitaus schwieriger als das frühzeitige Einschreiten
Wenn dann irgendwann die Einsicht kommt, dass etwas gegen diese Negativspirale unternommen werden muss, kommt die unangenehme Erkenntnis, dass das nachträgliche Auflösen der neuen Normalität zu einer echten Herkules-Aufgabe mutiert.
Sehr viel kräftesparender und besser ist es deshalb, von vornherein dafür zu sorgen, dass die neue Normalität überhaupt nicht erst entstehen kann.
Das bedeutet: Lasst etwas nicht so lange schleifen, bis es sich flächendeckend etabliert hat und zur geduldeten Normalität geworden ist.
Die Autoren Steve Gruenert und Todd Whitaker haben es mal so ausgedrückt:
“The culture of any organization is shaped by the worst behavior the leader is willing to tolerate.“
Yepp, so ist es.