Ich bin zum Briefingcall verabredet. Es geht um einen Vortrag, den ich bei einem Mittelständler halten soll. Der Call ist um Punkt neun Uhr früh mit dem Geschäftsführer.
Um kurz vor neun ruft die Assistentin an: Ihrem Chef sei ein dringender Termin dazwischengekommen, Verschiebung auf zehn Uhr dreißig.
Okay, alles gut. Das kommt vor. Um zehn Uhr zwanzig kommt die SMS: „Sorry, sitze in einem Mitarbeitergespräch und das dauert noch … geht heute Nachmittag um zwei?“
In Ordnung, nächster Anlauf um zwei Uhr nachmittags. Kurz vor dem Termin kommt die Nachricht: „Tut mir leid, aber wir müssen verschieben. Ginge 17 Uhr?“
Um fünf Uhr hat es dann tatsächlich geklappt. Der Geschäftsführer entschuldigt sich vielmals für das Chaos und erzählt, was los war: Mitarbeiterin gekündigt, Trennungsgespräch, schwierig, habe länger gedauert als geplant, parallel dazu ERP-Einführung, kritische Projektphase, sein Schreibtisch sieht aus, als wäre gerade eine Bombe dort eingeschlagen, Post noch unerledigt, zu unterzeichnende Dokumente, zu lesende Papierstapel, zu beantwortende E-Mails, auf Rückruf wartende Anrufer …
Wenn es lärmt, stellt den Lärm ab!
Puh! Aber jetzt mal Hand aufs Herz: Wer von uns kennt solche Tage nicht? Wer gerade fieberhaft überlegt, welcher Brandherd als nächstes gelöscht werden muss, ist nicht in der Stimmung, sein Verhalten zu reflektieren und selbstkritisch darüber nachzudenken, wodurch er sich in diese Situation manövriert hat und wie das in Zukunft besser laufen könnte.
Bei vielen Menschen (nein, selbstverständlich nicht bei euch!) besteht die übliche Reaktion auf einen solchen blöden Moment, wo alles zusammenkommt, darin, die Schlagzahl zu erhöhen. Noch schneller zu laufen. Durch Multitasking möglichst viele Dinge parallel wegzuschaffen. Also, bei Licht betrachtet, noch hastiger und unaufmerksamer zu arbeiten. Noch weniger über die Prioritäten nachzudenken. Noch unproduktiver zu sein.
Der grundlegende Irrtum: Aktivität wird mit Produktivität verwechselt.
Klüger wäre es, in angespannten Situationen produktiver zu arbeiten. Aber Produktivität erfordert nicht eine hohe Drehzahl, sondern Selbstreflexion!
Und Selbstreflexion findet in ruhigen Momenten statt, wenn du deine Aufmerksamkeit auf dich selbst richtest und dich hinterfragst. Mit anderen Worten: Wenn du keine Zeit hast, musst du dir Zeit nehmen!
ZFDB in den Kalender eintragen:
Zeit für die Birne!
Das ist ein wesentlicher Kern der Kunst der Selbstführung: Wenn es lärmt, stellt den Lärm ab und frag dich in einer Blase der Ruhe: Was sind meine Ziele? Was sind meine Werte? Was leitet mich? Was ist wichtig? Was ist dringend? Was kommt zuerst? Wie erreiche ich meine Ziele und was werde ich dafür tun?
Wenn beispielsweise eines deiner Ziele lautet: Ich will eine gute Führungskraft sein – dann solltest du anhand klarer Kriterien priorisieren, was getan werden muss. Dann solltest du klug delegieren und natürlich die notwendigen Ressourcen zur Verfügung stellen, damit die Dinge effizient erledigt werden können.
Wem die Antworten ausgehen, der braucht Fragen
Aber wie kannst du Prioritäten richtig setzen oder Ressourcen zuweisen, wenn du selbst nicht weißt, worauf es wirklich ankommt? Wenn du selbst wie ein aufgescheuchtes Huhn durch die Gegend flatterst?
Also: Es braucht Selbstreflexion. Keine Frage. Das bedeutet allerdings nicht, dass Selbstreflexion das Allheilmittel ist und plötzlich eintretende unvorhergesehen Zwischenfälle wie eine überraschende Kündigung wie von Zauberhand löst. Selbstreflexion hilft aber, das große Ziel im Fokus zu behalten. Wenn du also eine gute Führungskraft sein möchtest: Wie willst du andere Menschen führen, wenn du dich selbst nicht führen kannst? Und wie willst du dich selbst führen, wenn du dich selbst nicht kennst? Und wie willst du dich selbst kennen, wenn du dir keine Zeit dafür nimmst, deine Gedanken, Motive, Ziele und Werte zu erforschen, zu hinterfragen und zu formen?
Bei mir selbst habe ich festgestellt: Wenn ich keine Zeit für die Birne in den Kalender eintrage, findet es nicht statt. Eine der ersten Aufgaben an jedem Tag könnte darum sinnvollerweise sein, dass du dir ein Zeitfenster von 15 Minuten suchst und dort ZFDB in den Kalender einträgst.
Wer möchte, trinkt dabei eine Tasse Kaffee oder Tee – schaltet den Kopf an und alle anderen Ablenkungen aus: Handy weglegen, Mail-Programm und Slack schließen, ruhiger Raum oder kurzer Spaziergang vor dem Gebäude. Mindestens einmal pro Woche, am besten sogar täglich.
Welche Fragen das sind, die du dir selber stellst und beantwortest, dafür gibt es kein allgemeines Raster, keine Blaupause, keine Universallösung – es hängt davon ab, welchen Schwerpunkt du bei dir legen willst: Geht es mehr ums Private? Ums Berufliche? Um eine Mischung von beidem? Wenn der Fokus auf dem Beruflichen liegt: Was genau steht im Vordergrund? Mitarbeiterführung? Selbstorganisation? Prioritäten? Ziele? Strategien?
Der Spiegel lügt nicht
Für die tägliche Viertelstunde ZFDB habe ich ein paar Vorschläge. Es sind wirklich nicht mehr als Vorschläge.
Ich finde diese Fragen hilfreich, aber das gilt nur für mich – für dich müsstest du das anpassen. Wie gesagt: Es gibt keine Blaupause! Und ja: Selbstverständlich erfordert diese Anpassung auf dich selbst wiederum Selbstreflexion …
Da ich die ZFDB am Morgen mache, beziehen sich meine Reflexionsfragen auf den vorangegangenen Tag.
- Was habe ich gestern eigentlich den ganzen Tag so gemacht?
- Womit bin ich zufrieden? Was macht mich vielleicht sogar stolz?
- Womit bin ich nicht zufrieden? Was macht mich weniger stolz?
- Wie habe ich gestern priorisiert?
- Habe ich auch am Wichtigen gearbeitet? Wenn ja: was konkret?
- Wo war ich ein Getriebener des Dringlichen?
- Was könnte ich tun, um den Fokus mehr auf die Arbeit am Wichtigen zu verschieben?
Gut, und wenn ich jetzt ganz leise bin, dann kann ich den Protest hören: „Tolle Idee … aber dafür habe ich keine Zeit!“
Seien wir doch mal ehrlich: „Keine Zeit“ ist in neun von zehn Fällen eine Ausrede, die am liebsten dann genutzt wird, wenn die Lust fehlt. Und das ist ja auch menschlich, denn Selbstreflexion ist nicht immer angenehm, insbesondere dann, wenn sich herausstellt, dass es eine ziemliche Lücke gibt zwischen dem, was man für wichtig hält, und dem, was man tatsächlich macht.
Und da tut sich die Falle auf: Eben weil diese Selbsterkenntnis auch unangenehm sein kann, neigen viele Menschen dazu, allzu tiefe Selbstreflexion zu vermeiden und sich stattdessen mit operativer Geschäftigkeit abzulenken.
Es gibt ein sehr nachdenkenswertes Zitat von Blaise Pascal, dem französischen Mathematiker und Philosophen: „Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen.“
Pascal, einer der Wegbereiter der Aufklärung, fand es merkwürdig, dass so viele Menschen nicht in der Lage sind, mit sich selbst auszukommen.
Diese Beobachtung ist auch heute noch ziemlich treffend. Ruhig im Zimmer zu bleiben, in den Spiegel zu schauen und Zeit zu investieren, sich selbst zu finden – wird von vielen weniger als Verheißung empfunden, sondern als Drohung. Denn ob man die Person, die man dann vorfindet, wenn man danach sucht, auch wirklich aushält, ist die Frage …
Einen Gedanken noch:
Diese Selbstfindung ist übrigens kein Selbstzweck. Es geht nicht ums Ego, nicht um Selbstbeweihräucherung, nicht ums Kreisen um sich selbst! Letztendlich geht bei der Selbstreflexion darum, mich selbst zu verbessern, um damit auch meinen Mitmenschen das Leben etwas leichter zu machen.
– Nimm dir Zeit für die Birne und denk drüber nach!