Eine Stadt wie Hamburg mit nur einem Bäcker?
Eine Fußball-Bundesliga mit nur einer Mannschaft?
Ein Arbeitsmarkt mit nur einem Arbeitgeber?
Das ist für alle, die in einer freien Marktwirtschaft aufgewachsen sind, nicht vorstellbar. Und das Grundprinzip einer freien Marktwirtschaft ist nun einmal der Leistungswettbewerb: Nur derjenige, dessen Angebot für die Kunden attraktiver ist, der schneller und cleverer ist, der sich besser auf die Nachfrage einstellt, der ein besseres Preis-Leistungs-Verhältnis anbieten kann, der bessere Mitarbeiter einstellt und die bessere Strategie hat, kann am Markt bestehen.
Der Motor des Fortschritts
Und ich begrüße das! Der Wettbewerb übt eine wertvolle, komplexe Sortierfunktion aus, die dafür sorgt, dass sich täglich Anpassungsprozesse vollziehen: Wettbewerb zum Wohle der Kunden. Das Ausscheiden veralteter Angebote, die nicht mehr den Nerv der Zeit treffen. Attraktivere Arbeitsbedingungen für Mitarbeiter. Innovationen, die in neue Produkte münden. Wirtschaftlicher, technischer und gesellschaftlicher Fortschritt. Würde das Prinzip des ökonomischen Wettbewerbs uns Menschen nicht ohnehin durch unsere gesamte Geschichte begleiten, es müsste glatt erfunden werden.
Aber dennoch: Obwohl das Wettbewerbsprinzip funktioniert, bin ich weit entfernt davon, es zum Allheilmittel auszurufen.
Wettbewerb ist keine Religion!
Feuer unterm Hintern
Es gibt nämlich Bereiche, in denen Konkurrenz nichts zu suchen hat! Auch und gerade in der Wirtschaft: Wenn nämlich die Wettbewerbsidee in das Innere der Organisation getragen wird und Chefs das Konkurrenzdenken unter den Mitarbeitern fördern, dann wird es sehr problematisch.
Na, klar, die Befürworter des internen Wettbewerbs begründen ihre Haltung gerne damit, dass ein bisschen mehr Wettbewerb zu höherer Leistungsbereitschaft führe. Das mag kurzfristig sogar stimmen, allerdings hat das Konsequenzen: Aus Kollegen werden „Konkurrenten“. Und plötzlich steht nicht mehr die gemeinsam erbrachte Teamleistung für den Kunden im Mittelpunkt, sondern der eigene, persönliche individuelle Erfolg, zur Not auch auf Kosten der Kollegen oder auf Kosten der Kunden.
Ein Unternehmen wird dauerhaft nur dann erfolgreich sein, wenn die Mitarbeiter den Unternehmenserfolg als ihr gemeinsames Anliegen verstehen, sich als Partner bei der Erbringung dieses Erfolgs sehen und entsprechend kooperieren.
Wir wollen kein Trinkgeld!
Den Restaurantbesitzer Jay Porter aus San Diego in Kalifornien beispielsweise störte massiv, dass seine Service-Mitarbeiter sich darum stritten, die besten Tische und die besten Schichten zu bekommen, um möglichst viel Trinkgeld kassieren zu können. Gleichzeitig beschwerten sich die Mitarbeiter in der Küche darüber, dass sie keinen fairen Anteil an den Trinkgeldern abbekämen. Das ganze Team bestand aus Einzelkämpfern, aus Konkurrenten, die versuchten, sich gegenseitig die Butter vom Brot zu nehmen. Wer einmal in einem Restaurant oder in einer Kneipe gearbeitet hat, dem sind diese Themen vermutlich allzu vertraut. Same old story.
Jay Porter fragte sich, ob dieses leidige Thema Trinkgeld dem Erfolg seiner Restaurants nicht abträglich sei. Die Frage war, ob der Leistungsanreiz, für gutes Trinkgeld gute Arbeit zu leisten, überwog. Oder ob die Nachteile, vor allem das Gegeneinander im Team, die Vorteile nicht zunichte machten. Zumal er beobachtete, dass die Höhe des Trinkgelds bei vielen Gästen überhaupt nichts mit der Servicequalität zu tun hatte.
Also machte er das, was ich immer begrüße: ein Experiment!*
In einem seiner Restaurants schaffte er das individuelle Trinkgeld ab. Er bat seine Mitarbeiter, jedes Trinkgeld zurückzuweisen. Stattdessen berechnete er jedem Gast einen festen Prozentsatz von der Endsumme zusätzlich als Servicepauschale, deren Summe am Ende des Monats unter allen Mitarbeitern zu gleichen Teilen aufgeteilt wurde.
Es war ein durchschlagender Erfolg!
Das trinkgeldlose Restaurant hängte Porters anderes Restaurant in San Diego in jeder Hinsicht deutlich ab: Mehr Teamgeist, mehr Arbeitsfreude, weniger Fluktuation, höhere Gesamtqualität der Leistung, mehr Zufriedenheit bei den Gästen, mehr wirtschaftlicher Erfolg.
Geschwister sind keine Konkurrenten
Letztlich ist es eine Frage der Konsequenz: Wer die Idee von Zusammenarbeit ernst nimmt, der muss die Teamleistung und nicht die individuelle Leistung belohnen. Ein Unternehmen ist eine Leistungspartnerschaft, die auf der zentralen Idee der Zusammenarbeit fußt.
Und hier sehen wir den häufig gelebten Irrsinn in vielen Organisationen. Auf der einen Seite appellieren Chefs ständig: „Seid teamfähig! Identifiziert euch mit dem Unternehmen! Arbeitet besser zusammen! Teilt euer Wissen! Brecht die Silos auf!“ – und auf der anderen Seite wird genau das Gegenteil gelebt: Mitarbeiter oder Teams werden wie Profit Center behandelt, interner Wettbewerb wird angestachelt, man entwickelt interne Ranglisten, die aus Kollegen Konkurrenten machen.
Noch einmal: Ich mag Wettbewerb! Aber Wettbewerb hat in Teams nichts verloren. Und das gilt für jede Art von Teams. Auch für Vereine oder Verbände und erst recht für Familien: Haltet den Wettbewerb raus!