Wir sind total bedient. – Nach einem langen Vortragsabend bringen wir unser Gepäck aufs Hotelzimmer und möchten unsere Taschen abstellen. Aber wo? Jede Oberfläche ist mit Werbemüll zugepflastert, selbst das Kopfkissen ist noch mit einem Faltblatt verziert, das die inszenierte Sauna-Wellness-Nacht bei Vollmond und Kerzenschein anpreist.
Anja schaufelt den bügelbrettgroßen Schreibtisch für ihr Notebook frei, um sich noch ins Internet einzuklinken. Die gute Nachricht: WLAN ist gratis. Die schlechte Nachricht: Nur die ersten 15 Minuten! Nach einer halben Stunde will sie dann aber sowieso aufhören, denn bei der Tischhöhe und dem ungeeigneten Stuhl schmerzt der Rücken. Fünf Sterne prangen draußen neben dem weltstadtmäßigen Hoteleingang – drei dicke Minuspunkte in unseren Köpfen verhageln uns die Stimmung.
Blind-Date im falschen Restaurant
Nein, keine Sorge, das ist kein Konsumentengejammer und kein weiterer Service-Wüste-Deutschland-Motz-Empör-Echauffier-Beitrag. Uns geht es um etwas anderes. In den meisten Hotels, in den wir auf unseren Reisen übernachten, stimmen die großen Dinge: Betten, Bad, Sauberkeit, Essen, Service – alles 1A! Aber die scheinbar kleinen Dinge, die für den einen oder anderen Gast ganz groß sein können, werden oft behandelt wie ein Blind-Date, der im falschen Restaurant wartet: links liegen gelassen.
Ein Reflex, der jetzt kommen könnte: Die Kundenorientierung fehlt! Einstellungssache! Die haben es halt noch nicht begriffen!
Oder ein anderer Reflex: Die haben es halt nicht nötig! Die fünf Sterne sind ein Lorbeerkranz, auf dem sie weich ruhen! Da fehlt es an Konkurrenz! Die geben sich doch nur Mühe, wenn sie müssen!
Verständlich. Ist uns aber zu einfach.
Die Blickwinkel sind verschieden
Wir glauben eher: Jeder will einen guten Job machen! Aber es ist eben manchmal ganz schön schwierig. Und das ganz unabhängig von der Branche. Was Kunden sehen, ist nämlich oft nicht das, was die Führungskräfte sehen. Und umgekehrt. Die Blickwinkel sind einfach verschieden. Für eine Führungskraft liegt ruckzuck ein Missstand unsichtbar im Schatten, der für den Kunden offensichtlich ist. Wer glaubt, er sei vor toten Winkeln gefeit, der irrt sich gewaltig.
Was Führungskräfte darum brauchen: eine Tote-Winkel-Liste.
Nur, wie bekommt man die? Tote Winkel sind per Definition doch gerade nicht einsehbar. Stimmt. Nicht direkt einsehbar, aber indirekt schon, nämlich mit drei geeigneten Spiegeln:
1) Nachfragen!
Und zwar nicht nur: „Waren Sie zufrieden?“, sondern auch: „Was hat Ihnen gefehlt?“ oder „Wo waren Sie absolut unzufrieden?“ Ihr bekommt so bessere, ehrlichere Antworten, als ihr vermutet.
2) Perspektivenwechsel!
Schlüpft bewusst in die Köpfe eurer Kunden und geht deren Erfahrungskette Schritt für Schritt nach, vom ersten Kontakt mit euch durch das komplette Produkterlebnis.
3) Mitarbeiterblick!
Fragt euer Team nach Schwachstellen im eigenen Angebot, und zwar die Mitarbeiter mit dem direkten Kundenkontakt. Die wissen darüber meistens viel mehr als die Führungskräfte.
Also: Bringt Licht und Leben in eure toten Winkel!