Der Kreis schließt sich. Als ich noch als Managementberaterin bei Accenture tätig war, musste ich feststellen, dass der Job viele gute Seiten und auch einige ziemlich schlechte hat. Eine dieser Schattenseiten war das jährliche Beurteilungsgespräch – eine unsägliche Standardroutine, die seit Jahrzehnten zum Repertoire des Das-Macht-Man-So-Managements gehört.
Und nun spricht sich ausgerechnet der Chef von Accenture, Pierre Nanterme, in einem Interview mit der Washington Post für die Abschaffung von Beurteilungsgesprächen aus!
Schade, dass er erst jetzt auf diese blendende Idee gekommen ist.
Beurteilungsgespräch? – Hinterfragen statt abspulen!
Warum ich kein Fan von Beurteilungsgesprächen oder Mitarbeitergesprächen oder Jahresgesprächen bin? – Mein Kritikpunkt ist, dass es letztlich sinnentleerte Rituale sind. Sie werden in den meisten Fällen deshalb durchgeführt, weil sie mit Blick auf den Kalender einfach mal wieder fällig sind. Ja, und weil die Personalabteilung es halt so will.
Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass diese Gespräche in sich selbst nicht schlüssig sind: Der Mitarbeiter bekommt einerseits Feedback und andererseits wird seine Leistung beurteilt. Damit aber das Feedback seine Wirkung entfalten kann, insbesondere dann, wenn es negativ ist, braucht es Offenheit. Wenn es aber gleichzeitig mit einer Leistungsbeurteilung gekoppelt ist, bekommt es schnell einen Lehrer-Schüler-Charakter mit begleitender Zeugnisvergabe. Das ist dann ein Urteil über den Mitarbeiter und damit lässt sich nur schwerlich Vertrauen aufbauen.
Darum ist es allerhöchste Zeit, das Ritual selbst zu hinterfragen! Und zwar so:
Was wollen wir eigentlich?
Antwort: Wir wollen Menschen, die mit Initiative, Engagement und Leidenschaft beim Kunden einen Unterschied machen.
Kann man das mit dem jährlichen Beurteilungsritual erreichen?
Antwort: Nein! Natürlich nicht!
Es wenigstens besser machen?
Ja, natürlich ist Feedback notwendig. Positive Rückmeldungen und auch Rückmeldungen zu Verbesserungspotentialen. Und natürlich muss es dem Mitarbeiter auch möglich sein, seinem Chef Rückmeldung zu geben. Ja, logisch. Aber doch bitte dann, wenn der Gesprächsbedarf auftritt. Also potentiell immer. Situativ. Dazu braucht es doch keine jährliche oder halbjährliche Kulthandlung. Und erst recht kein Lehrer-Schüler-Setting, oft sogar mit schulnotenähnlichen Skalen.
Leistungserbringung ist ein permanenter Vorgang und deshalb sollte auch die Kommunikation darüber in beide Richtungen laufend erfolgen – oder wie Pierre Nanterme es nennt: „in einer fluiden Form“. Viel wichtiger als ritualisierte Mitarbeitergespräche ist ein kontinuierlicher Dialog auf Augenhöhe in einer konstruktiven Atmosphäre – und ohne Formular auf dem Tisch, das anschließend an die Personalabteilung weitergereicht wird und möglicherweise negative Folgen in Bezug auf die Beförderung oder die erhoffte Gehaltserhöhung hat.
Talentdialoge à la Cirque du Soleil
Wie man es anders machen kann, zeigt der Cirque du Soleil. Das in Montreal gegründete Entertainment-Unternehmen ist ein interessantes Beispiel dafür, wie man auf intelligente Weise typische Managementmethoden hinterfragen und radikal erneuern kann. Dazu passt auch, dass es dort kein Beurteilungsgespräch mehr gibt. Stattdessen wurde diese formelhafte, unangenehme und infantile Konvention durch so genannte „Talentdialoge“ ersetzt.
Denn ihr müsst ja (und könnt vielleicht) das Beurteilungsgespräch nicht gleich ganz abschaffen. Es würde genügen, es wenigstens radikal neu zu denken. Nehmt also die Talentdialoge des Cirque du Soleil als Anregung.
Fünf Fragen, die es in sich haben. Aber nur freiwillig.
Das Vorgehen: Zunächst mal – und schon beinahe am wichtigsten – ist es freiwillig! Die Mitarbeiter treffen sich eigenverantwortlich in einem passenden Rhythmus zu einem offenen Dialog, um darüber zu sprechen, wie es läuft. Völlig ohne Vorgaben von oben oder seitens der Personalabteilung.
Damit diese Gespräche dennoch strukturiert ablaufen, werden fünf simple Fragen besprochen – für jeden individuell und dann auf der Ebene des Teams:
1. Zurückblickend auf die vergangene Periode: Was war mein individueller Beitrag und was habe ich möglicherweise darüber hinaus beigetragen?
2. Was war schwierig? Womit habe ich mich schwergetan?
3. Wie präsent war ich und was hat das bewirkt (für mich selbst und für die Leute, mit denen ich zusammenarbeite)?
4. Gibt es etwas, das ich aus diesem Zeitraum für mich mitnehme und auf das ich stärker in Zukunft fokussieren möchte?
5. Was sind unsere Prioritäten für die nächste Periode?
Ich finde diese fünf Fragen richtig gut. Sie blicken zurück und eben auch voraus, sie sind geeignet für Teams und für Individuen. Sie brauchen keine Personalabteilung. Ja, sie brauchen nicht einmal einen Vorgesetzten.
Fünf Fragen, die einen sinnvollen Dialog eröffnen, anstatt die Mitarbeiter zu belästigen.
Und sie sind sogar für dich selbst geeignet: Als unterstützende Struktur bei der Selbstreflexion. Probier es aus!