Als ich in den USA studiert habe, gab es die Möglichkeit, neben dem Kerncurriculum auch sogenannte „Electives“ zu belegen. Einer dieser Electives, also Wahlkurse, der ich belegt hatte, hieß Competitive Intelligence. Das war extrem spannend! Der Professor, der diesen Kurs unterrichtete, war ein ehemals hochrangiger Mitarbeiter des CIA. Zu seinen Aufgaben während seiner aktiven Zeit zählte auch das Verfassen von Briefings zur aktuellen Lage in Zentralamerika für Präsident Ronald Reagan.
Das heißt: Dieser Mann beherrschte das Verfassen von Briefings wie kein Zweiter! Reagan war ausgesprochen allergisch gegen allzu lange Texte und machte deshalb strikte Vorgaben: Briefings für ihn durften nie länger als eine Seite sein. Auch das Format war vorgegeben und bestand aus den folgenden vier Elementen:
1. Das Thema:
Hierum geht es und deswegen ist es wichtig, dass der Entscheider sich mit dieser Problematik beschäftigt.
2. Die Fakten:
Die Zusammenfassung der allerwichtigsten Tatsachen, die der Entscheider zur Problemstellung kennen sollte.
3. Die Lösungsoptionen:
Die Varianten, die dem Entscheider zur Lösung der Problematik zur Auswahl stehen.
4. Die Empfehlung:
Die Option, die der Entscheider wählen sollte sowie die Gründe für diese Wahl.
Eine extrem gute Struktur, finde ich- – Dieses Format habe ich im Rahmen des Kurses bis zum Abwinken trainiert. Und es hat mir seither gute Dienste geleistet, um mich selbst besser zu strukturieren.
Die Würze der Kürze
Wenn du dich nun fragst, wie um Himmels Willen man auf nur einer Seite komplexe Themen sinnvoll erörtern kann: Ja, genau! Hier ist die Bärenfalle aufgestellt: Die Herausforderung wird umso größer, je besser man sich mit einem Thema auskennt und/oder je komplexer das Thema ist.
Es gibt dieses wunderbare Zitat, das wahlweise Johann Wolfgang von Goethe, Georg Christoph Lichtenberg, Jonathan Swift, Blaise Pascal oder Heinrich von Kleist zugeschrieben wird:
„Ich schreibe dir einen langen Brief, weil ich für einen kurzen keine Zeit habe.“
Übertragen auf die Strukturierung des Briefings: Der Umfang des Themas ist keine Ausrede für einen ellenlangen Text!
Der Punkt ist nämlich: Nicht der Entscheider soll die Zeit beim Lesen aufwenden, sondern der Verfasser beim Schreiben! Durch die Vorgabe des One-Pagers ist der Verfasser dazu gezwungen, wirklich relevante Überlegungen herauszuarbeiten und klar und deutlich in einer logischen Struktur darzustellen.
One-Pager: Eine einseitige Entscheidung
Ein Beispiel gefällig?
1. Das Thema:
Unser Marktanteil geht weiter zurück. Jugendliche wenden sich zunehmend anderen Marken zu. Unsere Marke wird als verstaubt und uncool wahrgenommen.
2. Die Fakten:
In den letzten 6 Monaten ist unser gesamter Marktanteil von 16% auf 12% gesunken. Bei Jugendlichen von 20% auf 10%. Marktforschung zeigt, dass Jugendliche sich vor allem jungen Marken zuwenden, die starke Angebote im mobilen Bereich haben.
3. Die Lösungsoptionen: Um unseren Marktanteil bei Jugendlichen zu festigen und wieder zu steigern, sehen wir die folgenden Optionen:
a) Wir entwickeln neue und zielgruppenaffine Leistungsangebote, die sich auf Jugendliche fokussieren. Das erfordert starkes Engagement bei allen mobilen Anwendungen.
b) Wir akquirieren einen aufstrebenden Wettbewerber, so wie Meta beispielsweise Instagram und WhatsApp gekauft hat.
4. Die Empfehlung: Wir empfehlen aus folgenden Gründen einen Wettbewerber zu kaufen:
a) Wir haben keine Erfahrung, um neue und zielgruppenaffine Leistungsangebote zu entwickeln.
b) Wir haben keine Erfahrung bei mobilen Anwendungen.
c) Wir haben keine Zeit, diese Fähigkeiten zu entwickeln, da unser Marktanteil zu schnell sinkt.
d) Unsere Barreserven erlauben eine Akquisition.
Ihr Einverständnis voraussetzend, werden wir in den nächsten drei Monaten die besten Optionen ausarbeiten und für das Aufsichtsratsmeeting im Juni eine Vorlage erstellen.
Natürlich beantwortet ein One-Pager nicht alle Fragen, was ja auch gar nicht das Ziel ist. Wenn der Entscheider weitere Infos benötigt, wird er nachfragen und der Ersteller des Briefings wird nachliefern müssen.
One-Pager: Cheftraining
Gut, und was hast du davon? Nun, entweder du bist Entscheider oder du hast es in deinem Job mit Entscheidern zu tun.
Wenn du Entscheider bist, empfehle ich dir, bei deinen Mitarbeitern One-Pager einzufordern. Probier es zumindest aus! Deine Leute werden sich mit großer Konzentration mit dem jeweiligen Thema befassen müssen. Damit bekommst du bessere Entscheidungsvorlagen.
Wenn du kein Entscheider bist, versuch dich im Verfassen von einseitigen Briefings, egal ob sie angefordert werden oder nicht! Denn das hilft dir, Klarheit über eine Fragestellung zu gewinnen und die eigenen Gedanken gut zu strukturieren. Du wirst zum Priorisieren gezwungen: Du übst dich darin, das Unwichtige wegzulassen. Dazu musst du das Thema intellektuell wirklich durchdringen und verarbeiten, sonst gelingt das nicht. Was du dabei nebenbei trainierst: Verantwortung zu übernehmen.
Mit anderen Worten: Einen One-Pager zu verfassen bereitet dich darauf vor, selbst ein guter Entscheider zu werden.