Monkey-Falle - Selbstverantwortung - Führung - Führungskräfte

Die Monkey-Falle vermeiden – Führen zur Selbstverantwortung

Nach dem Sportkurs steht man zusammen und redet noch ein bisschen. Alltäglicher Smalltalk eben: „Wie läuft’s bei dir? Was gibt’s Neues?“ Von der entnervt klingenden Familienmutter kommt als Antwort: „Ich habe es so satt! Alles bleibt immer an mir hängen!“

Ich frage nach, und die Frau fängt an zu erzählen: „Ich kümmere mich um alles. Und berufstätig bin ich dann auch noch so nebenbei!!“ Und dann erzählt sie vom Familienurlaub Ende letzten Jahres in Florida. Die Idee war ja eigentlich, nochmal gemeinsam mit den Kindern eine Reise zu machen, denn die beiden studieren und wohnen nicht mehr zuhause. Sie hatte das Reiseziel rausgesucht. Sie hatte die Flüge gebucht. Und sie hatte die Hotels und den Mietwagen gebucht. Natürlich sie. Und sie hatte alle Infos darüber an den Ehemann und die Kinder weitergegeben. Dann am Tag vor der Abreise, Anruf vom Sohn: „Finde meinen Pass nicht!“ Die Fragen vom Ehemann: „Wie wird denn das Wetter?“ und „Was soll ich einpacken?“ Und in der Nacht (!) vor der Abreise kommt eine WhatsApp-Nachricht von der wohlgemerkt erwachsenen Tochter: „Der blöde Koffer geht nicht zu, der Reißverschluss ist kaputt. Ich brauch einen neuen Koffer, aber die Geschäfte haben schon zu …“

Der ganz normale Wahnsinn? Nein, der selbstproduzierte Wahnsinn! Über die Hilflosigkeit in der Dauerschleife haben Peter und ich schon mal hier geschrieben.

Monkey-Falle: Probleme mit der Selbstverantwortung im Unternehmen sind ein Indiz für ein korrespondierendes Rollenverständnis der Führungskräfte

Die Frau steckt in der „Monkey-Falle“. So bezeichneten schon vor Jahren die beiden Managementberater William Oncken Jr. und Donald L. Wass in ihrem einflussreichen Artikel im Harvard Business Review ein Phänomen, das im Privaten ebenso wie in der Arbeitswelt weit verbreitet ist. Das Bild, das die beiden dafür entwickelten, ist wirklich treffend: Jemand hat ein Problem – das ist der Affe, der auf seinem Rücken sitzt – damit geht er zu einem Helfer. Und was passiert? Der Helfer kümmert sich und der Affe springt auf den Rücken des freundlichen Helfers. Und schon ist der Hilfsempfänger seinen Affen los und der Helfer hat einen mehr. Über kurz oder lang hat der Helfer ganz viele Affen von verschiedenen Hilfsempfängern, die alle seine Zeit fressen und an seinen Nerven nagen.

Und diese Verantwortungsabladerei ist ebenso häufig im Privaten wie in Unternehmen anzutreffen. Ein Beispiel: Es ist kurz vor Feierabend und ein Mitarbeiter stürmt in dein Büro: „Hast du mal einen Augenblick? Ich habe da ein Problem!“

Du kennst das schon von ihm, er kommt gern mit seinen Fragen und Problemen kurz vor Feierabend. Da du gleich eine Verabredung hast, sagst du: „Okay, aber nur kurz. Ich muss gleich los.“

Also erzählt der Mitarbeiter kurz sein Problem. Du nickst und sagst: „Ich denke drüber nach. Lass uns morgen noch mal darüber sprechen.“

Und schon sitzt der Affe auf deinem Rücken! Der Mitarbeiter ist sein Problem losgeworden, indem du ihm das Problem abnimmst und versprichst, darüber nachzudenken. Wie nett von dir!

Die Monkey-Falle schnappt immer dann zu, wenn du es zulässt, dass andere ihre Aufgaben oder Probleme bei dir abladen. Aufgaben oder Probleme, die eigentlich von ihnen selbst gelöst werden könnten und sollten. Oder anders gesagt: Wenn du von anderen Verantwortung ab- und übernimmst.

Monkey-Falle: Wer gerne Affen trägt, findet immer sehr schnell jemanden, der einen loswerden möchte

Selbstverständlich ist nicht jeder, der eine Frage stellt, automatisch ein Verantwortungsablader. Und nicht jeder, der ab und zu mal eine Frage beantwortet, ist deshalb schon ein pathologischer Kümmerer. Ich habe nicht das Geringste gegen solidarische Unterstützung. Das ist nicht der Punkt.

Problematisch wird es immer dann, wenn das Abladen von Verantwortung beziehungsweise das Übernehmen von Verantwortung zur Gewohnheit, zum Verhaltensmuster und damit zum Dauerzustand wird. Wenn Kollegen, Mitarbeiter, Ehepartner, erwachsene Kinder, die sehr wohl in der Lage sind, eigenständig ein Problem zu lösen, die Verantwortung beim Kümmerer abladen. Und dazu braucht es natürlich zwei: den Verantwortungsablader und den Kümmerer. Der Kümmerer ist nämlich in diesem merkwürdigen Spiel keineswegs ein Opfer, sondern er begünstigt durch seine Kümmerei das Überspringen der Affen.

Im Klartext: Wer gerne Affen trägt, findet immer sehr schnell jemanden, der einen loswerden möchte. Aber das hat eine giftige Nebenwirkung: Das selbstständige Problemlösen wird nicht mehr als eigene Aufgabe angesehen, sondern ruckzuck an den Vorgesetzten, den Staat, die Eltern, den Partner, die Partnerin – oder andere Instanzen delegiert. So schafft man Abhängige, die nie erwachsen werden.

Wirklich grotesk wird es, wenn sich der Kümmerer dann aber noch über den mangelnden Willen der Leute, Verantwortung zu übernehmen, beklagt: „Alles bleibt immer an mir hängen!“

– Willkommen in Absurdistan.

Jemanden achten und stärken heißt vor allem: Nicht retten!

Es steht jedem frei, so zu handeln. Und es fühlt sich ja auch gut an. Es ist das Gefühl, gebraucht zu werden, eine Inszenierung der eigenen Unersetzlichkeit: „Wenn ich mich nicht um alles kümmere, dann läuft hier gar nichts!“

Dabei sollten wir aber eine entscheidende Sache im Auge behalten: Wenn sich Kümmerer austoben, wird es unwirtschaftlich. Energetisch halbiert sich das Leistungspotenzial der Organisation: Der Hilfsempfänger verharrt im Zustand der Abhängigkeit und bleibt weit unter seinen Möglichkeiten. Und mindestens genauso problematisch: Der Helfer kommt sich zwar unentbehrlich vor, ist aber überlastet und vernachlässig seine eigentlichen Aufgaben.

Führung heißt eben nicht, sich um alles selbst zu kümmern! Führung heißt, bewusst zurückzutreten und den Mitarbeitern Raum zu geben, ihre Fähigkeiten und Potenziale zu entfalten.

Deshalb ist es falsch, die Probleme der Mitarbeiter für sie zu lösen, und es ist richtig, die Mitarbeiter in ihrer Verantwortung zu lassen. Wer sich bei Problemen den Affen immer wieder auf den Rücken setzen lässt – sprich in die Monkey-Falle tappt – strickt zwar an seinem Heldenmythos, darf sich aber auch nicht wundern, wenn die Mitarbeiter sich unfähig und unverantwortlich fühlen und auch entsprechend unfähig und unverantwortlich handeln.

Wer Unselbstständigkeit sät, wird Verantwortungsabschieber ernten.

Um es ganz deutlich zu sagen: Menschen haben ein Recht darauf zu lernen, wie man Herausforderungen meistert. Führung ist die Pflicht, die Problemlösungskompetenz der Mitarbeiter zu fördern.

Der Schlüssel zu einem gelungenen Leben: lass die Affen erst gar nicht auf deinen Rücken springen

Ein Unternehmer hat mir das sinngemäß mal so erklärt: „Das Wichtigste, was ich als Chef gelernt habe, ist, dass man sich vor der Monkey-Falle hüten muss. Ständig versucht jemand, ein Problem bei dir abzuladen – und meistens merkst du das gar nicht. Der Schlüssel zu einem gelungenen Leben ist, dass du den Affen erst gar nicht auf deinen Rücken springen lässt – mit Ausnahme der Affen, die du bewusst dort haben willst!“

Das bedeutet ganz praktisch: Tue niemals etwas, was der Mitarbeiter selbst tun könnte!

Um nochmals auf die beschriebene Situation kurz vor Feierabend zurückzukommen: Die kluge Antwort heißt nicht „Ich denke drüber nach, lass uns morgen früh drüber sprechen.“, sondern „Komm nochmal vorbei mit zwei oder drei möglichen Lösungsvorschlägen!“.

Also: Lass die Affen auf dem Rücken des Fragestellers, indem du es nach wie vor ihr oder ihm überlässt, Lösungen zu bringen. Erst wenn die Lösungsvorschläge auf dem Tisch sind, solltest du dich überhaupt mit dem Affen befassen. Nur so bleibt er dort, wo er hingehört.

Das Prinzip lässt sich übrigens auch auf Familien übertragen. Wie das geht, haben wir hier beschrieben.

Von all dem wollte meine Fitnesskollegin aber nichts hören. Sie war offenbar doch ganz zufrieden mit ihrer speziellen Rolle in der Familie, denn als ich ihr von den Affen erzählte, wehrte sie den Gedanken vehement und mit moralischem Pathos ab: „Aber das ist doch meine Familie! Da muss ich mich doch kümmern!“

Ja, gut. Wer nicht hören will, muss fühlen.