Von einer Verkäuferin in einer Supermarktfiliale kann man keine Entscheidungshilfen für die Steuerung eines Konzerns erwarten. Obwohl, wer weiß? Und von einer Filialleiterin? Vielleicht schon eher. Aber wie soll das gehen?
Nationwide Insurance: Employee Board of Managers
Die Frage ist: Wie kann man das Fachwissen und die Erfahrungen der Mitarbeiter, die täglich mit den Kunden zu tun haben, in die strategischen Entscheidungen der Geschäftsleitung integrieren? Dazu braucht man mehr als nur die gute Absicht, nämlich auch einen Mechanismus, eine passende Form. Eine Idee, wie das gehen kann, gibt Nationwide Insurance.
Den 16-köpfigen Vorstand, das „Board of Directors“, hat die amerikanische Versicherungsgesellschaft sozusagen gespiegelt und ihm ein „Employee Board of Managers“ entgegengestellt. 40 Mitarbeiter von vorderster Kundenfront sind darin vertreten. Ein Kern von fünf Personen ist gewissermaßen Teil des Vorstands und auf drei Jahre engagiert. Die anderen 35 Personen sind jeweils für ein Jahr mit dabei.
Mindestens einmal pro Quartal trifft sich der Vorstand mit diesen Mitarbeitern und stellt ihnen die Themen und Fragestellungen vor, mit denen sich der Vorstand aktuell beschäftigt. Die Kernfragen lauten dann ganz einfach: „Wie würdet ihr mit eurer Perspektive und mit eurer Erfahrung an dieses Thema, an dieses Problem oder an diese Herausforderung herangehen? Und was haltet ihr eigentlich von unserer Idee, es so und so zu tun?“
Aber Achtung: Diese Treffen sind kein Wunschkonzert! Und auch keine basisdemokratische Versammlung!
„Wir sind ehrlich zu den Leuten, und unsere Ansage ist klipp und klar“, sagt Srinivas Koushik, CIO von Nationwide. „Wir werden nicht jede Idee berücksichtigen. Aber wir werden jede Entscheidung – ob für oder gegen eine Idee – begründen.“ Und genau das passiert auch. Der Vorstand nutzt die Perspektive der Mitarbeiter als Spiegel des Marktes, als Sparringspartner, den sie um Rat fragen können, wenn sie in der üblichen Konstellation nicht weiterkommen.
Die Perspektive der Mitarbeiter sinnvoll in Entscheidungen integrieren
Seitdem der Dialog zwischen dem Vorstand und dem Gremium der Mitarbeiter gestartet ist, hat sich bei Nationwide vieles verändert. Eine Idee, die sofort umgesetzt wurde: Die Mitarbeiter setzen sich ihre Ziele inzwischen selbst. Und das verstärkt ihre Wirkung massiv.
Vier Prinzipien machen für uns diese Initiative besonders:
1. Das Prinzip Augenhöhe
Nationwide nimmt die Einbindung der Mitarbeiter ernst. So ernst, dass diese einen Posten bekommen. Also nicht nur die Möglichkeit, Vorschläge einzureichen und Ideen zu beurteilen, sondern auch den formellen Status. Und damit die Augenhöhe, um mit dem Vorstand zu diskutieren. Statt einseitiger Vorschläge entsteht so ein echter Dialog, eine partnerschaftliche Auseinandersetzung.
2. Das Prinzip der klaren Machtverteilung
Ein Mitarbeiter, der immer wieder Ideen hat, aber keine Chance bekommt, diese aktiv voranzutreiben oder an endlosen Labersitzungen teilnimmt, aus denen keine nennenswerten Ergebnisse resultieren, wird sich zu recht veräppelt fühlen. Dieses Gefühl der Wertlosigkeit entsteht, weil die Rollen nicht klar definiert sind. Nationwide hat die Fronten geklärt. Bei ihnen geht es um Mitwirkung. Nicht um Mitbestimmung! Das Mitarbeiter-Board berät, der Vorstand entscheidet. Klare Machtverteilung. Klare Erwartungen. Klare Ergebnisse. Null Frustration.
3. Das Prinzip der Kontinuität
Einmal im Jahr auf Knopfdruck Feedback an die Chefs geben? Kein Wunder, dass bei solchen Aktionen keine brauchbaren Vorschläge herauskommen. Nationwide hat verstanden: Die Einbindung der Mitarbeiter muss regelmäßig erfolgen. Das Board ist eine Institution von Bestand. Es trifft sich mehrmals im Jahr und die Mitarbeiter haben die Chance, in ihre Aufgabe hineinzuwachsen. Sie lernen, über das unmittelbare Tagesgeschäft hinaus zu denken. So entstehen wirklich interessante Denkanstöße!
4. Das Prinzip der Rotation
Ein Gremium erfüllt seine Aufgabe dann am besten, wenn die Mitglieder nicht lebenslänglich auf ihrem Posten sind. Bei Nationwide wechseln 35 von 40 Employee-Board-Mitglieder jedes Jahr. Und sie werden vom Management bestimmt, nicht etwa von den Mitarbeitern gewählt wie ein Betriebsrat. So wird verhindert, dass dieses Gremium zu einer Versammlung von Frühstücksdirektoren oder zu einem Amt wird, bei dem es vorrangig um Macht statt um Inhalte geht.
Die vielen Stockwerke zwischen Basis und Spitze sind überbrückt! Mit dem „Employee Board“ hat Nationwide es geschafft, die Lücke zwischen Entscheidungsträgern und Informationsträgern zu schließen, die Perspektive der Mitarbeiter einzunehmen und damit: Die Lücke zwischen Unternehmensleitung und Markt zu überbrücken.
Wir finden diese Lösung bemerkenswert. Aber es ist nur eine von vielen Möglichkeiten, Mitwirkung zu organisieren. Wie löst ihr das?