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Das Hummer-Phänomen

Monterey liegt ungefähr eine Stunde südlich von San Jose im Silicon Valley, wo wir neulich alte Studienkollegen besucht haben. Und in Monterey gibt es das Monterey Bay Aquarium – eines der schönsten Aquarien der Welt.

Was wir in einer für den Menschen eigentlich aufs rein Visuelle reduzierten Wasserwelt nicht erwartet hätten: Es gibt dort einen ‚Touch Pool’, also eine Art Streichelzoo! Wir mischten uns unter die Familien und machten mit. Wir griffen also ins Wasser und fühlten Muscheln, Steine, Tang, Seesterne, natürlich lauter harmlose Sachen, glitschig, rau, kantig, weich. Das eine oder andere Tier oder Ding konnte man herausholen und in die Hand nehmen.

Am beeindruckendsten war ein riesiger Hummerpanzer!

Appetitlich sieht der nicht aus, aber groß, ungefähr 50 cm. Im ersten Moment sind wir erschrocken: Huch! Der ist ja leer, wo ist denn der Hummer? Im zweiten Moment dachten wir, die sterblichen Überreste des Tiers in der Hand zu halten. Im dritten Moment wurden wir vom freundlichen Guide aufgeklärt: Der Hummer lebt noch, irgendwo im Aquarium.

Er kann bis zu 70 cm lang, 9kg schwer und 100 Jahre alt werden! Und das hier, das sei nur der abgelegte Anzug, der ihm irgendwann zu eng geworden war. Hummer, lernten wir, häuten sich in regelmäßigen Abständen wie Schlangen, schlüpfen also aus ihrem Panzer, um anschließend einen etwas größeren auszubilden.

In der Zwischenzeit, also bevor der neue Panzer ausgehärtet ist, ist so ein Hummer mehrere Wochen lang fast schutzlos, eine gefährliche Zeit. Mit anderen Worten: Will der Hummer wachsen, muss er was riskieren, er kommt nicht darum herum, zeitweise sehr verletzlich zu sein.

Das fanden wir hoch spannend! Verletzlichkeit geht also Hand in Hand mit Wachstum und Weiterentwicklung.

Zu viel Sicherheit macht unflexibel

So ein Hummer bietet eine eindrucksvolle Metapher für die menschliche Psyche: Immer wenn ihr euch weiterentwickeln wollt, müsst ihr etwas Altes loslassen. Dieses Alte, Bewährte, das ihr zurücklasst, war euch so vertraut, hat sich so gut angefühlt, hat euch geschützt, hat euch Sicherheit gegeben. Aber es war eben auch starr, unflexibel und ließ keine Veränderung zu.

Wenn ihr nun etwas ändert, etwas Neues macht, dann fühlt sich das erst einmal ungewohnt an. Das Neue ist frisch, jung, zart und ihr fühlt euch noch wahnsinnig verletzlich. Gegen diese Verletzlichkeit könnt ihr euch nur schützen, indem ihr am Alten festhaltet. Aber das hieße eben auch den Status quo zu zementieren und bewusst auf Wachstum und Weiterentwicklung zu verzichten.

Dann aber würdet ihr nie herausfinden, wie ihr als die neue, größere Version eurer Selbst sein werdet!

Niemand weiß, wie gut du sein kannst.
Niemand weiß, was du erreichen kannst.
Nicht einmal du selbst.

Es gibt nur eine Chance, das herauszufinden: Den alten Panzer abwerfen und sich auf die Reise machen. Und das bedeutet: ihr entscheidet euch dafür zumindest vorübergehend verletzlich zu sein.

Verletzlichkeit ist etwas Gutes!

Wir sollten keine Angst davor haben, denn nur mit ihr werden wir wachsen. Und noch etwas: Der Hummer fährt nochmal ein deutlich größeres Risiko! Wenn ihr euch vom alten Panzer befreit, braucht ihr wenigstens nicht befürchten, gefressen zu werden.

P.S. Habt ihr schon einmal vom Hochstapler-Syndrom gehört? Es scheint, als wären Selbstzweifel doch nicht ganz so böse wie ihr Ruf …