„Das viele Reisen in meinem Beruf hat einen hohen Lästigkeitswert.“ – So wird Deutschlands prominentester Unternehmensberater Roland Berger zitiert. Wir wissen nicht, ob er das wirklich gesagt hat. Für uns jedenfalls gilt: Das viele Reisen in unserem Beruf lässt uns immer wieder äußerst interessante und spannende Menschen treffen. Das lieben wir! So auch neulich bei einem Vortrag in Österreich…
Ein denkwürdiger Abend …
Anja kam gerade von der Bühne, wo sie über den Zusammenhang von Heterogenität und Innovation gesprochen hatte: Neues gedeiht schlecht in Monokulturen, Vielfalt befruchtet und Neues entsteht nicht aus Altem. Ein Mann aus dem Publikum kam auf sie zu, um ihr zu ihrem Vortrag zu gratulieren. Und um ihr von seiner persönlichen Erfahrung mit Heterogenität und Innovation zu erzählen.
In seinem Unternehmen gehört es zum Standard, regelmäßig gezielt ausgesuchte Menschen einzuladen, die von ihrem Leben und ihrer Sicht auf die Welt berichten. Ziel ist dabei nicht, konkrete Probleme zu lösen, sondern den Horizont der Mitarbeiter zu erweitern. Die Gäste sind Autoren, Kindergärtner, Regisseure, Köche, Musiker … oder eben auch Biobauern.
Besonders dieser denkwürdige Abend mit dem Biobauern, so erinnerte sich Anjas Gesprächspartner, war im Vorfeld von den Mitarbeitern mit Vorfreude und Spannung erwartet worden: Ein Landwirt kommt zu einem Kunststoffhersteller. Interessant!
Eine verbale Ohrfeige, die schockierte
Doch der Abend entwickelte sich anders als gedacht. Statt einen netten, inspirierenden Vortrag über Bio-Landwirtschaft zu halten, verpasste der Bauer seinen Gastgebern eine Stunde lang eine verbale Ohrfeige nach der anderen: Kunststoff? So ein mieses Produkt! Fossile Rohstoffe verarbeiten, die nicht erneuerbar sind! Biologisch schwer abbaubares Material produzieren, das nicht in den natürlichen Rohstoffkreislauf passt und kaum recyclebar ist! Wie kann man nur! Was für eine Sauerei!
Nein, dieser Abend entgleiste vollkommen. Statt einem interessanten Vortrag, erfrischender Inspiration und anregenden Ideen hagelte es Kritik und heftige Vorwürfe. Alle waren enttäuscht und gehörig vor den Kopf gestoßen. Gegensätze wirken befruchtend? Ach ja? Das hatte sich der Chef des Unternehmens aber anders vorgestellt!
Stark irritierende Kritik wird zur größten Motivation
Aber das war noch nicht das Ende der Geschichte. Denn ab da wurde es erst richtig interessant: Die irritierende Kritik des Biobauers hatte den Ehrgeiz der Ingenieure geweckt. Sie fühlten sich herausgefordert. Und überlegten. Tüftelten. Rechneten. Testeten … Und schließlich präsentierte die Gruppe aus der Entwicklungsabteilung dem Chef ein völlig neues Produktkonzept: Biologisch abbaubare Kunststoffe!
Plötzlich wurde das riesige Potenzial offenbar, das sich hinter dem Eklat mit dem Biobauer verborgen hatte. Ein Zukunftsmarkt tat sich auf – und das nur, weil der streitbare Gast die Ingenieure in ihrem Stolz getroffen hatte. Die extrinsische Irritation war in intrinsische Motivation umgeschlagen. Und das verlieh dem ganzen Unternehmen einen gewaltigen Schub.
Anjas Gesprächspartner hatte leuchtende Augen, während er ihr erzählte, wie die Konfrontation mit einem anders denkenden Menschen sein Unternehmen zuerst irritiert, dann motiviert und schließlich verändert hatte.
Störer führen uns an unsere Grenzen … Und zu Neuland!
Wir sehen darin ein allgemeingültiges Prinzip: Wer sich bewusst anderen Reizen, Menschen und Gedanken aussetzt, anders als die gewohnten, vertrauten, bequemen, der wird angeregt, aktiviert und verändert sich. Was dann folgt ist das, was wir Querdenken nennen.
Am nachhaltigsten wirkt dieser Blick über den Tellerrand, wenn ihr den Mut habt, euch auch unangenehmen Impulsen auszusetzen: Störer, Pieker, Querulanten, Menschen, die auch mal irritieren, sind zunächst nur schwer auszuhalten. Sie bringen uns an unsere Grenzen. Aber genau da, an unseren Grenzen, beginnt das Neuland …