Seid nicht so dumm wie McArthur Wheeler!
Dieser Mann aus Pittsburgh, Pennsylvania, dachte, er wäre ziemlich schlau. Was er nicht wusste, war das, was er nicht wusste. Was er dagegen wusste: Dass man mit Zitronensaft eine unsichtbare Geheimtinte herstellen kann. Du schreibst etwas mit Zitronensaft auf ein Papier – et voilà: unsichtbar! Erst wenn du das Papier erhitzt, wird das, was du geschrieben hast, sichtbar.
Der schlaue McArthur Wheeler erkannte die ganze Tragweite dieses Effekts. Und schon hatte er einen Plan: Er rieb sein Gesicht mit Zitronensaft ein! Und wurde auf der Stelle unsichtbar.
Weil jeder schlaue Mensch vorsichtig ist und seine Hypothesen auch überprüft, machte er noch ein Testfoto mit einer Polaroidkamera. Tatsächlich: Er war darauf nicht zu sehen!
Unsichtbar wie er war, überfiel er am gleichen Tag noch eine Bank. Und weil das so glatt lief, überfiel er gleich anschließend noch eine zweite Bank. Doch noch in der Nacht wurde er verhaftet. Wie die Polizei berichtete, war er völlig fassungslos, als sich herausstellte, dass er doch nicht unsichtbar war und mehr als deutlich auf den Videos der Überwachungskameras zu erkennen war. „Aber ich war doch voller Saft!“, soll er gemurmelt haben.
Ein Rätsel blieb noch das Polaroidfoto. Konnte es sein, dass er die Kamera falsch herum gehalten hatte und nicht sich, sondern die gegenüberliegende Wand fotografiert hatte?
Zu dumm …
Diese Geschichte, die sich 1995 in den USA ereignete, ist tragisch und komisch zugleich. McArthur Wheeler ist ein Opfer des Dunning-Kruger-Effekts, über den ich schon mal geschrieben habe.
Die beiden Sozialpsychologen David Dunning und Justin Kruger haben in ihrer Studie Unskilled and unaware of it gezeigt, dass unter bestimmten Rahmenbedingungen Inkompetenz gerne im Doppelpack mit Selbstüberschätzung auftritt.
Der britische Komiker John Cleese umschreibt das treffend so: „Das Problem mit dummen Menschen ist, dass sie oft zu dumm sind, selbst zu erkennen, dass sie dumm sind.“
Dieser Effekt ist wirklich fies. Du und ich wissen möglicherweise in diesem Augenblick gar nicht, welche Dummheit wir gestern oder heute begangen haben oder begehen. Und außerdem: Diejenigen, die am allerwenigsten über ein Thema Bescheid wissen, sind leider oft die, die glauben, sie wüssten es besser als andere. Eben genau wegen ihrer Inkompetenz glauben sie, dass sie anderen überlegen seien und haben ein besonders ausgeprägtes Selbstbewusstsein. Du kennst es vielleicht von so manchem Meeting, bei dem diejenigen am lautesten hineinquatschen, deren Selbstbewusstsein von keinerlei Sachkenntnis getrübt wird. Ganz im Gegenteil zum Hochstapler-Syndrom, womit interessanterweise besonders erfolgreiche Menschen zu kämpfen haben.
Die Frage, die sich darum stellt: Was können wir tun, um nicht selbst in diese Falle zu tappen?
Der beste Tipp kommt von Karl Weick, dem emeritierten Professor für Organisationspsychologie an der University of Michigan: „Argumentiere, als hättest du recht, und höre zu, als würdest du falschliegen!“
Ich finde das sehr schlau. Wer das und die nachfolgenden fünf Tipps beherzigt, erhöht deutlich die Chancen, nicht aus Versehen dumm dazustehen:
1. Erkenne dich selbst
Es gehört zur menschlichen Natur, das Ausmaß der eigenen Unwissenheit zu verkennen. Schon Platon hat das in seinem Höhlengleichnis reflektiert. Das Problem dabei ist, dass wir die Unwissenheit bei anderen Menschen sehen, aber nicht bei uns selbst. Eine Möglichkeit, dies zu korrigieren, besteht darin, sich mit anderen Menschen auszutauschen, wirklich zuzuhören und kritische Rückmeldungen einzuladen. Dadurch lernen wir Dinge, die wir nicht wussten oder übersehen haben oder erhalten andere Perspektiven, die ausgesprochen hilfreich sein können.
2. Umgib dich mit Menschen, die dich herausfordern
Im Beitrag „Challenge Network“ steht, wie es geht: Ein solches Netzwerk besteht aus einer ausgewählten Gruppe von Menschen, die dir sagen, was du nicht hören willst, aber dringend hören musst! Wir brauchen in unserem Umfeld Menschen, die Selbstreflexionsprozesse anstoßen, unsere blinden Flecken aufzeigen und Entwicklungspotenziale offenlegen.
3. Stell dir den Worst Case vor
Auch wenn ich eine ausgesprochene Optimistin bin, habe ich gelernt, dass Optimismus zwar seinen Platz im Leben hat, nicht aber unbedingt dann, wenn man wichtige Entscheidungen treffen muss. Übertriebener Optimismus wie auch das Festkleben an den Erfolgen der Vergangenheit können dazu führen, dass wir uns möglicherweise in Selbstüberschätzung einlullen. David Dunning empfiehlt: „Wenn eine Entscheidung wichtig ist, frage dich immer, wo du dich irren könntest. Oder wie deine Pläne in einem Desaster enden könnten.“
Das Werkzeug dazu ist das Worst-Case-Szenario. Es schützt vor dem Dunning-Kruger-Effekt und der sprichwörtlichen rosaroten Brille und schärft die Wachsamkeit.
Fragen können sein: Was kann schlimmstenfalls geschehen? Unter welchen Umständen kann das passieren? Mit welcher Wahrscheinlichkeit kann das passieren? Welche Gegenmaßnahmen kann ich ergreifen, um dieses Szenario zu verhindern bzw. seine Auswirkungen abzumildern?
4. Denk in Wahrscheinlichkeiten, nicht in Gewissheiten
David Dunning sagt: „Menschen, die nicht in Gewissheiten, sondern in Wahrscheinlichkeiten denken, können tendenziell besser vorhersagen und auch voraussehen, was zukünftig geschehen wird, als Menschen, die in Gewissheiten denken.“ Anders ausgedrückt: Dem Dunning-Kruger-Effekt eher ausgeliefert sind wir dann, wenn wir in sehr einfachen Kategorien von schwarz oder weiß, gut oder schlecht, falsch oder richtig, ja oder nein denken. Dem Dunning-Kruger-Effekt weniger ausgeliefert sind wir, wenn wir in Wahrscheinlichkeiten denken. Also z.B.: „Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich dieses Ziel erreichen kann? – 20, 50 oder 80 Prozent?“
5. Lerne „Ich weiß es nicht“ zu sagen
„Es scheint den Menschen unangenehm zu sein, wenn sie sagen: ‚Ich weiß es nicht‘. Das ist eine Sache, zu der wir die Leute nie bewegen konnten!“, so David Dunning. Ja, zuzugeben, dass wir etwas nicht wissen, das kommt uns nicht einfach über die Lippen, denn es schwingt immer so ein Gefühl mit, als sei das ein fatales Eingeständnis von Schwäche und Inkompetenz. Tatsächlich sieht es aber anders aus. Wir kommen deutlich weiter, wenn wir nicht als vermeintliche Alleswisser durchs Leben gehen, denn unsere Inkompetenz bleibt sowieso nie lange unbemerkt
Wer diese Punkte berücksichtigt, erhöht die Chancen, nicht in die Dunning-Kruger-Falle zu tappen. Menschen, die sich und anderen gegenüber eingestehen können, dass ihre Annahmen nicht richtig und ihr Wissen begrenzt sein kann, wissen mehr als die selbsternannten Wahrheitsverkünder, die felsenfest von der Richtigkeit ihrer Meinungen und ihres Wissens überzeugt sind.
In diesem Zusammenhang gefällt mir der Begriff der „intellektuellen Demut“. Wer „intellektuelle Demut“ kultiviert, akzeptiert, dass er falsch liegen könnte. Das ist keine Koketterie, sondern das Ergebnis von Selbstreflexion, kritischem Hinterfragen und intellektueller Offenheit. Und ganz wichtig: Wer diese Haltung hat, zeigt weniger schnell kichernd mit dem Finger auf die anderen vermeintlichen „Dunning-Kruger-Kandidaten“, sondern führt sich vor Augen, dass die erste Regel des Dunning-Kruger-Clubs lautet: „Du weißt nicht, dass du Mitglied des Dunning-Kruger-Clubs bist!“