bewerbungsgespraeche

Bewerbungsgespräche – Vom Bewerber im Wohnwagen

Ein Freund von mir hat ein Grundstück gekauft, um ein Haus darauf zu bauen. Und was hat er als nächstes getan? Einen Architekten beauftragt? Falsch geraten…

Nein, er hat sich einen Wohnwagen organisiert und den auf das Grundstück geschoben. Dann hat er dort zwei Wochen lang gewohnt. Im Wohnwagen. Auf seinem neuen Grundstück.

Alle, die ihn kennen, inklusive der neuen Nachbarn, waren etwas besorgt. Midlife Crisis, Sinnkrise oder Schlimmeres?

Zugegeben, das ist ganz schön schräg. Na, sagen wir: unkonventionell.

Und zwei Wochen in einem Wohnwagen, das hört sich auch nicht sonderlich komfortabel an, finde ich.

Aber mein Freund hat ganz schön clever gehandelt: Denn nach den zwei Wochen wusste er über sein Grundstück alles. Wo genau die Sonne aufgeht, wo sie im Tagesverlauf scheint, wo Bäume Schatten werfen, wo sich bei Regen Pfützen bilden, welchen Blick es an welcher Stelle in alle Himmelsrichtungen gibt, welcher Platz ihm der liebste zum Sitzen ist, wo ein idealer Platz für die Terrasse wäre, ein Platz für einen kleinen Teich, eine Ecke für Gartenmöbel. Kurz: Er hat ein Gefühl für sein Grundstück und eine Vorstellung seines Hauses entwickelt. Und nun kann er dem Architekt genau sagen, was er will.

Eindruck machen!

Ich halte sehr viel vom Ausprobieren und Testen. Und wenig vom Man-könnte-ja-mal, vom Hätte-wäre-würde-könnte-sollte. Und das nicht nur für Häuslebauer, sondern vor allem auch für Bewerber.

Wie klug wäre es, wenn ihr genau so wie mein testender Freund auch beim neuen Job vorgehen würdet? Nicht nur eine Stunde hingehen, Bewerbungsgespräche führen oder an einem Assessment Center teilnehmen und dann entscheiden bzw. auf die Entscheidung des Unternehmens warten.

Sondern im übertragenen Sinne für mindestens einen ganzen Tag in den Wohnwagen ziehen. Also: Vor Ort sein, mitmachen, mit zum Kunden rausgehen, das Telefon abnehmen, im Meeting dabei sein, beim Brainstorming, beim Verkaufsgespräch, bei der Erstellung eines Angebots. So nah wie möglich rangehen an die Arbeit und den echten Arbeitsalltag. Die Atmosphäre aufnehmen, die Arbeitsabläufe live und in Farbe miterleben, es leben, spüren wie es wirklich ist – und dann entscheiden: Will ich aus dem Wohnwagen ein Haus machen? Will ich dieses Spielfeld tatsächlich auswählen? Ist das der richtige Job für mich?

Und natürlich würdet ihr damit den Entscheidern im Unternehmen auch die Chance geben, euch besser kennenzulernen, zu sehen, wie ihr euch im Arbeitsumfeld verhaltet. Ihr würdet euch zeigen und einen Eindruck hinterlassen – bei den Kollegen, den Kunden, den Partnern. Beide Seiten könnten hinterher deutlich besser und begründeter entscheiden.

Bewerbungsgespräche als schlechteste Wahl

Sich alleine auf Vorstellungsgespräche zu verlassen, ist nicht sehr klug. „Können Sie uns nicht ein bisschen über sich erzählen? Was sind Ihre Stärken? Was sind Ihre Schwächen? Wo sehen Sie sich selbst in fünf Jahren? Wie reagieren Sie auf Kritik? Blablabla …“ – Bewerbungsgespräche sind das am weitesten verbreitete Instrument zur Auswahl neuer Mitarbeiter – aber auch das schlechteste.

Das sagen auch zunehmend Stimmen aus der Wissenschaft. Einer der meistdiskutierten Artikel auf der Website der New York Times war „Die vollkommene Nutzlosigkeit von Jobinterviews“ von Jason Dana, einer Professorin an der US-Eliteuniversität Yale. Sie sagt:

„Die Interviewer formen meist starke, aber ungerechtfertigte Eindrücke über den Bewerber, die im Prinzip mehr über sie selbst aussagen als über den Bewerber.“

Drum prüfe, wer sich bindet!

Und tatsächlich verabschieden sich immer mehr Organisationen vom klassischen Bewerbungsgespräch. Ein befreundeter Unternehmer beispielsweise lässt aussichtsreiche Bewerber generell einen vollen Tag zum Probearbeiten kommen. Dabei ist es nicht so, dass die Bewerber das jeweilige Team an diesem Tag großartig unterstützen würden. Ganz im Gegenteil. So ein Tag ist unterm Strich ganz schön teuer, denn er kostet vor allem die Mitarbeiter viel Zeit. Aber er zeigt beiden Seiten sehr wirkungsvoll, ob es passt.

Viel zuverlässiger als jedes Gespräch.

Und außerdem gibt es im Unternehmensalltag kaum Kostspieligeres als eine Fehlentscheidung bei Neueinstellungen.

Also:
Ihr bewerbt euch? Besteht auf einen Probearbeitstag!
Ihr sucht Verstärkung für euer Team? Besteht auf einen Probearbeitstag der besten Bewerber!