Ich stelle in meinen Vorträgen gern eine Frage. Und zwar frage ich nach den Präferenzen bei der Neueinstellung von Mitarbeitenden. Was ich von den Teilnehmer*innen wissen möchte:
Welche der drei folgenden Einstellungskriterien ist für euch am wichtigsten?
A) Qualifikation – Kompetenz, Berufserfahrung, akademischer Background, Zusatzqualifikationen, Auslandserfahrung, Sprachkenntnisse, etc.
B) Potenzial – die Fähigkeit zu lernen, zu wachsen und sich zu entwickeln in einer sich ständig verändernden Welt.
C) Kulturelle Passung – Die Motive und Ziele des Mitarbeiters und deren Passgenauigkeit mit den Werten der Organisation.
Die bevorzugte Antwort, die ich immer wieder höre: C, kulturelle Passung – und zwar stets mit großer Mehrheit.
Das ist nicht wirklich überraschend, denn wie heißt es so schön? Hire for attitude, train for skills. Und tatsächlich ist die kulturelle Passung enorm wichtig, was durch viele Studien bestätigt wird.
Aber wenn wir genauer hinschauen, wird es interessant …
Mitstreiter gesucht
Es gibt eine aufschlussreiche Studie, die in den späten 1990ern unter der Leitung der beiden Stanford-Professoren Michael Hannan und James Baron gemacht wurde. Sie heißt „Organizational Blueprints for Success in High-Tech Startups“ – Hannan und Baron untersuchten 200 Startups aus dem Silicon Valley. Sie wollten herausfinden, wie die besten High-Tech-Unternehmen beim Einstellen neuer Mitstreiter vorgingen.
Das Ergebnis ist zunächst einmal das Erwartete: Die erfolgreichsten Startups sind die, deren Gründer bei der Einstellung von Mitarbeitenden auf die kulturelle Passung gesetzt hatten. Die Misserfolgsrate dieser Unternehmen war gleich null – nicht ein einziges war Jahre später vom Markt verschwunden. Bei den anderen Startups, die primär auf Qualifikation und das Potenzial als Einstellungskriterien gesetzt hatten, sah die Erfolgsrate deutlich weniger rosig aus.
Warum ist das so?
Wer beim Einstellungsverfahren darauf setzt, dass seine Leute die Werte und Normen der Organisation teilen, holt sich so sehr motivierte Mitstreiter ins Boot. Es gibt so gut wie keinen anderen Platz, wo sie lieber arbeiten würden. Sie hängen sich rein, bilden eine verschworene Gemeinschaft und tun, was immer erforderlich ist, um die Unternehmensziele voranzutreiben.
Oder doch lieber Andersdenker?
Soweit so gut. Aber jetzt kommt ein großes ABER – denn die Studie ging noch weiter: Nach einigen Jahren, nachdem die Startups sich in ihren Märkten etablierten, erstmals ihre Aktien an der Börse platzierten und von der Frühphase in die nächste Entwicklungsstufe wechselten, zeigte sich, dass diejenigen, die primär auf die kulturelle Passung im Einstellungsverfahren gesetzt hatten, am langsamsten wuchsen – im Vergleich zu den Unternehmen, die auf Qualifikation und Potenzial gesetzt hatten.
So. Und wie sollen wir das jetzt interpretieren?
Zuerst ist kulturelle Passung überlegen und dann doch wieder nicht?
Genau.
Es ist nämlich offensichtlich so, dass es auf die Entwicklungsphase ankommt, in der ein Unternehmen steckt. Für die Frühphase eines Unternehmens ist es eine hervorragende Idee, darauf zu setzen, dass alle Mitstreiter kulturell zueinander passen.
Warum? Weil es anfangs darum geht, die eigene Geschäftsidee in die Welt zu tragen. Da helfen Mitstreiter, die im Prinzip genauso drauf sind wie der Gründer, der die zentrale Produktidee hatte. In dieser Zeit kämpfen alle für eine gemeinsame Sache, setzen sich dabei gegen Widerstände durch und brauchen dabei jede Menge missionarischen Eifer, aber ganz gewiss keine inneren Kontroversen und Auseinandersetzungen.
Aber später verändert sich die Situation grundlegend. Denn sobald das Unternehmen am Markt ist, müssen sich die Produkte in der Realität gegenüber dem Wettbewerb durchsetzen. Dazu müssen sie permanent weiterentwickelt und verbessert werden. Und dabei hilft der Cultural Fit offensichtlich nicht mehr. Denn plötzlich werden Kritik, Vielfalt der Ideen, Kontroversen, komplementäre Kenntnisse und sachliche Auseinandersetzung um den besten Weg wichtig.
Wen suchen wir denn eigentlich?
Nur: Wie soll das gehen? Ihr könnt ja nicht gleichzeitig ein verschworenes Team aus Gleichgesinnten sein und dann plötzlich auf Knopfdruck ein heterogener, komplementärer Haufen.
Wie das funktionieren kann, zeigt Ideo, die Design- und Innovationsberatung aus Palo Alto, Kalifornien. Ideo wurde Anfang der 1990er gegründet, ist also kein Startup mehr, sondern eher schon ein Veteran im Markt. Nach einiger Zeit stand bei Ideo nicht mehr die Suche nach Mitarbeitenden, die genau in die Kultur des Unternehmens passen, im Vordergrund. Aber dennoch warfen die Ideo-Führungskräfte den Fokus auf die eigene Kultur nicht über Bord. Stattdessen suchten sie nun gezielt nach Leuten, die die bestehende Kultur ergänzen und erweitern.
Anstatt zu sagen: „Was macht unsere Kultur im Kern aus und wie können wir möglichst passgenaue Kandidaten dafür finden?“, fragen sie: „Was fehlt in unserer Unternehmenskultur? Welche Fähigkeiten könnten wir zusätzlich noch gebrauchen?“ Und dann stellen sie Leute ein, die diese Lücke schließen.
Sie haben zum Beispiel jede Menge erstklassiger Design-Thinker. Aber sie hatten auch verstanden: Wenn wir im Design-Thinking-Prozess Menschen beobachten, wie sie XY verwenden, dann brauchen wir dafür auch noch Mitarbeitende mit anderen Fähigkeiten, beispielsweise Anthropologen. Die Konsequenz ist dann aber nicht, nur noch Anthropologen einzustellen, sondern immer wieder zu fragen: Wer könnte noch unsere Kultur ergänzen und bereichern?
Zum Beispiel müssen die Ideo-Leute das Wissen, dass sie in der Beobachtung gesammelt haben, wieder zurück ins Haus zu ihren Designern bringen. Das erfordert Qualitäten im Bereich „Storytelling“. Also stellten sie Drehbuchautoren und Journalisten ein.
Heute so, morgen so
Die Erkenntnis, die ich aus dieser wichtigen Studie mitnehme, ist: Wer etwas Neues startet – im Unternehmen wie im Privatleben – dem hilft es enorm, sich Gleichgesinnte zu suchen. Auf die kulturelle Passung kommt es also an!
Aber wenn du dann fest im Sattel sitzt, wächst und dich weiterentwickelst, dann brauchst du Leute, die dich ergänzen – und dazu müssen diese Leute eben anders ticken als du. Dann braucht du die konstruktive Reibung mit Sichtweisen, die dich herausfordern!
Ich halte diese Denkweise für sehr clever.
Die klügere Antwort auf die Eingangsfrage wäre dann also nicht A), B) oder C), sondern D), dynamisch, nämlich passend zur Phase, in der man selbst beziehungsweise die Organisation steckt.