Ein von innen beleuchteter Waschtisch für Privatjets! – Was für eine verrückte Idee … Ja, richtig, die Idee, so etwas zu entwickeln, ist für eine ganz normale Tischlerei in Niederösterreich ziemlich ungewöhnlich. Und tatsächlich hatte kein einziger Kunde so etwas nachgefragt. Ein Mitarbeiter ist einfach so auf diese extravagante Idee gekommen.
Möglichkeiten jenseits des Vorstellbaren eröffnen
Der Punkt ist nur: Die Tischlerei, um die es dabei geht, ist keine normale Tischlerei. Sondern sie ist eine verdammt gute Tischlerei, die schon immer viel mehr sein wollte als nur eine verdammt gute Tischlerei.
Ihr Name ist F/List, und sie hat sich auf die Fahnen geschrieben, ihren Kunden „Möglichkeiten zu eröffnen, die jenseits des Vorstellbaren liegen“.
Und das gelingt eben nicht, wenn es so zugeht, wie in jedem normalen Unternehmen: Überall gibt es Menschen, die außergewöhnliche und großartige Ideen haben. Aber wenn sie sie vor einer Gruppe von Entscheidern präsentieren, dann wird aus der revolutionären Idee sehr schnell ein wachsweicher so-könnte-es-allen-gefallen-Vorschlag.
Vorzeigen macht verletzlich
Der Grund für diese Tendenz zum Weichkochen von außergewöhnlichen Ideen liegt nicht darin, dass die Ideenentwickler Feiglinge ohne Rückgrat sind – so einfach ist es nicht. Vorzuzeigen, was wir erschaffen haben, ist ein extrem heikler Moment der Verletzlichkeit.
Kaum jemals ist es so einfach für andere, uns zu düpieren oder auflaufen zu lassen, als in diesem Moment. Denn wir alle ziehen ein gutes Stück unseres Selbstwerts und unserer guten Laune daraus, wie andere uns, unsere Ideen und unser Werk beurteilen. Daumen hoch oder Daumen runter – das ist eine sensible Situation.
Verstecken oder weichspülen
Darum agieren die meisten Menschen auf eine von zwei Weisen:
1. Das Werk wird gar nicht erst vorgezeigt und es wird zurückgehalten. Oft unter dem Deckmantel des Perfektionismus. Es ist noch nicht ganz fertig, ich feile noch dran, es fehlen noch ein paar Infos, ein paar letzte Zutaten etc. In Konsequenz wird nie geliefert.
2. Die Ecken und Kanten werden weggelassen, das Außergewöhnliche unterschlagen, um das Risiko der Ablehnung zu reduzieren. In Konsequenz präsentiere ich eine angepasste Variante der einst „wilden“ Idee, weil zu viel auf dem Spiel steht.
Natürlich sollten wir unseren Selbstwert nicht daran koppeln, was andere denken. Denn diese Kopplung ist ein Innovationskiller. Sie macht uns zu Gefangenen des Anspruchs, allen irgendwie gefallen zu wollen. Aber wenn ein Unternehmen eine Kultur hat, in der genau diese Kopplung dazugehört, dann wird sich niemand finden, der sich mit seinen verrückten Ideen exponiert – er wäre auch schlecht beraten. Stattdessen sind alle geübt im Weichspülen, Anpassen und Rundschleifen.
Ent-Koppeln gegen Innovationskiller
Wenn du das nicht willst, musst du es machen wie F/List, die außergewöhnliche Tischlerei aus Niederösterreich: Unterbreche diese Kopplung!
Das bedeutet: Nimm die ungewöhnlichen Idee ernst, lass den Mitarbeiter tatsächlich dieses Produkt herstellen und biete an, was noch nie von einem Kunden verlangt wurde. „Diese Ideen lassen wir zu, um den Innovationsprozess nicht zu bremsen“, sagt die Chefin Katharina List-Nagl.
Auf diese Weise hat es F/List geschafft, außergewöhnliche und hoch profitable Premium-Märkte für sich zu erobern. Die Tischlerei ist heute ein Premium-Zulieferer von Weltmarktführern im Flugzeug- und Yachtbau. Mit weichgespülten Null-acht-fuffzehn-Ideen wäre das nicht gelungen!
Den Innovationskiller stoppen
Es ist clever, Mitarbeiter zu ermutigen, eher noch mehr solcher kühnen Vorschläge zu machen und dann zu schauen, was sich daraus machen lässt. Also erstmal einen Prototypen bauen und ihn den Privatjet-Kunden zeigen, damit sie sehen können, was sie sich noch nie vorgestellt haben. Und wenn die keinen innenbeleuchteten Waschtisch haben wollen, dann interessiert das vielleicht die Privatyacht-Kunden. Und mal sehen, wen noch … Und wenn nicht, dann kann man die Idee ja immer noch parken, bis die Zeit reif dafür ist.
Aber der Innovationskiller ist gestoppt. Die Idee ist da und hat Sauerstoff, um zu atmen. Und vielleicht hat sie einmal ihren ganz großen Auftritt!