Florence Foster Jenkins über Fehler, Fehlerkultur und Leidenschaft

Warum wir mehr tun sollten, worin wir richtig schlecht sind

Kannst du dich an diesen Film erinnern? Der Film, der einer Frau huldigt, die eine Meisterin des Makels ist und eine Virtuosin des Unvollkommenen? Der Film mit der großartig aufspielenden Meryl Streep in der Hauptrolle, der auf der wahren Geschichte von Florence Foster Jenkins basiert? Einer New Yorker Upperclass-Lady, die viel Geld aber kein bisschen Stimme besaß? Die aber trotzdem als Opernsängerin auftrat – und zwar vor vollbesetzten Reihen?

Foster Jenkins traf kaum einen Ton, sie hielt keinen Rhythmus, kein Stück sang sie so, wie es der Komponist vorgesehen hatte. Wirklich nicht. Wer glaubt, der Film überzeichne die Talentlosigkeit der Dame, liegt falsch. Auf Youtube findet sich ein Originalclip von Foster Jenkins – und der hinterlässt keinerlei Zweifel: Diese Dame sang so furchtbar schlecht, dass es kaum zu glauben ist.

Aber sie sang voller Leidenschaft – und ihre Auftritte waren derart skurril, dass es irgendwie schon wieder große Kunst war. Man riss sich um Eintrittskarten für ihre Auftritte; zu ihren Konzertbesuchern konnte sie sogar Musiklegenden wie Cole Porter und Enrico Caruso zählen.

Der Höhepunkt war der Auftritt der damals 76-jährigen in der ausverkauften Carnegie Hall im Oktober 1944. Schon beim Betreten der Bühne begrüßte sie das Publikum mit frenetischem Applaus. Sie sang Stücke von Bach, Tschaikowski und Mozart. Als sie sich kieksend und quäkend durch die berühmte Arie „Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen“ aus Mozarts „Zauberflöte“ quälte, drehten die Besucher komplett durch. Sie sprangen auf und jubelten ihr zu. Vielen liefen vor Lachen Tränen übers Gesicht, fast jedem Gast stellten sich die Härchen auf den Armen und im Nacken auf, so schräg verhaute sie die Töne.

Und Florence Foster Jenkins? War sie beschämt? Fühlte sie sich der Lächerlichkeit preisgegeben? – Nicht im Geringsten! Sie ließ sich nicht beirren: Sie kreischte und quietschte sich wie ein harpunierter Wal durch das Stück bis zum Ende.

Die Frage liegt auf der Hand: Warum nur?
Ihre Antwort:

„Die Leute können vielleicht behaupten, dass ich nicht singen kann, aber niemand kann behaupten, dass ich nicht gesungen hätte!“

Das ist stark und lässt sich nicht bestreiten: Viele im Publikum konnten vermutlich besser singen als sie – aber sie war es, die auf der Bühne stand!

Die Leidenschaft, mit der Florence Foster Jenkins die Musik liebte, ist nicht nur rührend, sondern zeigt, dass sie die Dinge, denen sie sich verschrieben hatte, mit ganzem Herzen tat. Und das ist wiederum etwas, was mich persönlich sehr begeistert: Nichts ist schlimmer, als ein lauwarmes Jein, ein leidenschaftsloses Pflichtprogramm, ein halbherziges Commitment – egal für was.

Nun will ich dir natürlich nicht ernsthaft empfehlen, in deinem Kerngeschäft zu dilettieren oder eine berufliche Laufbahn in einem Bereich anzustreben, für den du keinerlei Talent hast. Aber was uns allen gut zu Gesicht stehen würde: ab und an Dinge zu tun, in denen wir nicht gut sind.

Warum?

Weil es der Treibstoff für Veränderung und Lernen ist.

Wenn wir lediglich die Dinge tun, die wir bereits sehr gut können, gibt das zwar ein Gefühl der Sicherheit (niemand wird über uns lachen!) aber Veränderung und Lernen kann in vertrautem Territorium nunmal nicht stattfinden. Dazu müssen wir schon Fehltritte, Rückschläge und Verlegenheiten riskieren. Das ist der Preis, den wir zahlen, wenn wir unsere Komfortzone verlassen. Aber je öfter wir genau das tun, desto leichter fällt es.

Weil es hilft, die Angst vor der Peinlichkeit zu überwinden.

Häufig ist es Angst, die uns zurückhält. Allerdings ist es keine Angst vor einem konkreten Leid, das uns zustoßen könnte – sondern die Angst davor, uns lächerlich zu machen. Die Angst vor der Blamage ist eines der größten Hemmnisse überhaupt. Das lernen wir bereits als Kinder zu vermeiden und schleppen es auch später im Leben wie einen zenterschweren Rucksack mit uns herum. Stell dir vor, was wir alles bewerkstelligen könnten, würde es die Angst, blöd oder unbeholfen dabei auszusehen, für uns gar nicht geben!

Weil es zeigt, dass Scheitern nützlich sein kann.

Fuck-up Nights oder Bücher und Artikel, in denen Menschen darüber berichten, wie sie in ihrem Job oder mit ihrer Unternehmensgründung so richtig auf die Nase gefallen sind, gibt es tonnenweise. Aber vielleicht ist es klüger, wenn es nicht gleich der Job, das eigene Unternehmen oder die gesamten Ersparnisse sind, die man in den Sand setzt. Wenn du dich also – sozusagen als Aufwärmtraining – darauf konzentrierst, in einem Bereich auf die Nase zu fallen, der nicht gleich deine gesamte berufliche Laufbahn ins Abseits schießt, wäre das doch eine gute Herangehensweise. Und so machst du eine ganz wichtige Erfahrung: Dich nach der Niederlage wieder aufzurappeln und weiterzumachen!

Das Ziel beim Scheitern ist nicht das Scheitern. Sondern etwas Neues zu tun, egal, was passiert.
Und das macht  nicht nur mutiger, flexibler und lockerer, sondern letztlich auch interessanter!