Pablo Picasso Finden statt suchen

Finden statt suchen

Das Musée Picasso ist für uns eins der faszinierendsten Museen in Paris. – Die blaue Phase, die rosa Phase, die Tuschezeichnungen, die kubistischen Kompositionen: 250 Werke schicken den Besucher auf eine Reise durch alle Schaffensphasen des Künstlers. An dieser Farb- und Formenvielfalt können wir uns einfach nicht satt sehen und schauen jedes Mal vorbei, wenn wir in Paris etwas Zeit übrig haben.

Unser Tipp, wenn ihr mal da seid: Nehmt euch Zeit für die Exponate am Rande und in den kleineren Räumen. Was von weitem unspektakulär wirkt, eröffnet eine ganz neue Welt! Picasso war nicht nur Maler und Bildhauer, er machte auch Buchillustrationen, Gebrauchsgrafiken, Bühnenbilder, ja er schrieb sogar Gedichte und Bühnenstücke. Diese schöpferische Bandbreite beeindruckt uns immer wieder tief. Und wir fragen uns: Wie kann jemand so ein Multitalent sein? Wie gelingt es einem Menschen, so produktiv und so gut zu sein?

Finden statt suchen

Die Antwort muss man nicht lange suchen. In Picassos Aufzeichnungen steht der Satz:
„Ich suche nicht, ich finde.“
Aha.
Okay.
Nein, Moment.
Was will er denn damit sagen?
Dass man ein Genie sein muss, um so ein Gesamtwerk zu vollbringen?
Dass er einfach mit dem Glück gesegnet war, in allem erfolgreich zu sein, was er angepackt hat?
Dass er im Gegensatz zu den anderen schlicht den Bogen raus hatte?
Ganz ohne Anstrengung?
Ganz schön hochnäsig!

Aber nein, das kann es nicht sein. Wer den Satz so liest, der versteht Picasso grundlegend falsch. Was er meint, ist eher der offene Blick des Findenden beim Suchen, im Gegensatz zur eingeschränkten Sicht des Ewig-Suchenden.

Zielgerichtet und ergebnisoffen zur gleichen Zeit

Machen wir es konkret: Egal, ob es um den perfekten Job, den idealen Partner, die nächste Wohnung oder den passenden Mitarbeiter geht: Das größte Problem bei der Suche ist: Wir wissen viel zu genau, was wir suchen. Wir haben ein festes Bild vom Ergebnis im Kopf und tun uns deshalb oftmals so schwer bei dem Finden des realen Äquivalents. Das ist nicht ergebnisoffen!

Aber auch das andere Extrem ist häufig anzutreffen: Menschen, die offen für alles sind, aber eben auch völlig ohne Meinung und ohne Plan. Wer so sucht, ohne auch nur die leiseste Idee zu haben, was zum perfekten Job, zum idealen Partner oder zum für mich bestmöglichen Leben dazugehört, der kann nur ein Ziel haben: niemals zum Ziel zu kommen. Das ist nicht zielgerichtet!

Was Picasso also meint mit dem „Finden“, ist kein Warten oder Hoffen, dass das Schicksal es schon richten wird. Das letzte, was Picasso in den Sinn gekommen wäre: auf den Kuss der Muse zu warten. Stattdessen verbrachte er Tage und Nächte damit, Entwürfe zu machen und wieder zu verwerfen. Wer seine Biografie kennt, weiß, wie viele verbrannte Skizzen ihn ein einziges Gemälde gekostet haben. Dennoch hat er zielgerichtet auf den Erfolg hin gearbeitet.

Auch Picasso hat also gesucht. Aber eben auf seine Art.

Er hat so lange gezeichnet und gemalt, bis er auf die eine Linie, die eine Farbe oder den einen Effekt gestoßen ist, der ihn verblüffte – weil er ihn sich zuvor gar nicht vorstellen konnte. Seine Suche war achtsam, aber gleichzeitig absichtslos. Zielgerichtet, aber gleichzeitig ergebnisoffen. Denn was gefunden wird, ist unbekannt. Wie ein glücklicher Zufall, bloß dass es nicht wirklich Zufall ist.

Was Picasso mit seiner Haltung des Findenden statt Suchenden meint, ist im Kern die Idee der SERENDIPITY.

Also die Fähigkeit, eine Entdeckung zu machen, obwohl sie gerade gar nicht gesucht wurde. So wie die Post-its. Ursprünglich wollte Spencer Silver für 3M einen Super-Kleber entwickeln, der stärker sein sollte als alle bisher bekannten Klebstoffe. Nachdem sein Kleber sich aber wieder ablöste, und das Vorhaben gescheitert war, kam ein Kollege auf die Idee, die Lesezeichen, die bei den Chorproben ständig aus seinem Notenheft herausfielen, mit diesem besonderen Klebstoff zu befestigen. Das war die Geburtsstunde der Post-its.

Und genau das meinte Picasso: Die wahren Entdeckungen kommen überraschend. Man kann sie nicht erzwingen oder beeinflussen. Aber man kann sich doch auf sie vorbereiten: Nur ein wacher Geist wird sie finden.