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Erlaubnis und folgsam

Vier Stufen der Folgsamkeit

Die Zeche Zollverein in Essen war ein fantastischer Rahmen für meinen Workshop – das Nebeneinander von Alt und Neu macht den Reiz der Location aus. Und genau darum ging es auch in der Veranstaltung für die gut 250 Mitarbeiter eines Mittelständlers: Nicht alles über Bord zu werfen – also nur auf das Neue zu fokussieren – sondern Bestehendes und Neues intelligent miteinander zu verbinden.

Die Mitarbeiter bearbeiteten dazu in Teams verschiedene Themengebiete und entwickelten Lösungsansätze. Bevor dann die Teams im Plenum ihre Lösungsvorschläge präsentieren sollten, ging ich von Team zu Team, um zu hören, ob sie bereit waren für die Präsentation. Was ich von den verschiedenen Teams hörte, war wirklich augenöffnend. Es gab nämlich ein Muster: Zwei Sorten von Reaktionen.

Hü oder hott!

Die einen sagten sinngemäß: „Wir haben zwar mutige Ideen entwickelt und die sollten auch umgesetzt werden, aber wer soll das machen? Wir bekommen dazu doch nie im Leben die Erlaubnis!“ Also: Lieber nicht aus dem Fenster lehnen, es wird ja sowieso nichts.

Die anderen sagten sinngemäß: „Was rausgekommen ist, finden wir cool. Nur: Wenn wir da groß um Erlaubnis fragen, dann kriegen wir das eh nie auf die Rolle. Also: einfach machen.“ Also: Lieber hinterher um Entschuldigung bitten, als vorher um Erlaubnis fragen.

Offenbar spielte „die Erlaubnis“ bei beiden Gruppen eine große Rolle, beide waren sich sicher, sie nicht zu erhalten, nur der Umgang damit war entweder defensiv oder offensiv.

Beide Sorten der Reaktion finde ich auf Dauer nicht hilfreich. Beide Heransgehensweisen sind zu extrem: Hilfloses mit den Achseln zucken oder es einfach machen. „Darf ich das denn?“ oder „Mir doch egal, ob ich das darf!“ Hü oder hott. Ich habe mich gefragt: Geht das nicht auch anders?

Die vier Stufen der Folgsamkeit

Doch, es geht auch anders. Meine Überzeugung: Wir sollten die Sache mit der „Erlaubnis“ differenzierter betrachten. Und das gilt fürs Berufliche ebenso wie fürs Leben.

Im sehr lesenswerten Buch „Lifestorming“ von Alan Weiss und Marshall Goldsmith findet sich eine Klassifizierung des Umgangs mit Erlaubnis. An diese angelehnt, davon abgeleitet und ergänzt schlage ich vier Stufen vor:

Erlaubnis

1. Stufe: Grundsätzlich keine Erlaubnis haben

Du gehst davon aus, dass du grundsätzlich keine Erlaubnis hast. Das bedeutet: Du widersprichst einem in der Hierarchie höher stehenden Menschen grundsätzlich nie. Wenn der eigene Name auf der Teilnehmerliste eines Meetings steht, nimmst du auch daran teil. Du wartest nachts um 3 Uhr vor einer roten Fußgängerampel, auch wenn in der letzten Stunde kein Auto weit und breit zu sehen war. Du fragst im Flugzeug nicht, ob jemand den Platz mit dir tauschen würde, damit du neben deinem Partner sitzen kannst. Du machst keinen Verbesserungsvorschlag in deinem Team, weil niemand dich nach deiner Meinung gefragt hat. Du gehst niemals voran. Denn du weißt: Du darfst grundsätzlich erstmal gar nichts.

2. Stufe: Um Erlaubnis fragen

Du fragst andere um Erlaubnis, etwas tun zu dürfen. Du fragst, ob du tatsächlich an diesem Meeting teilnehmen musst, obwohl es wertlos für dich ist und du auch keinen Wert beitragen kannst. Du hebst im Meeting die Hand, wenn du etwas fragen möchtest und stellst nicht einfach die Frage. Du fragst die Bedienung im Hotel, ob es okay ist, wenn du dich am Kaffeeautomaten bedienst, der scheinbar genau zu diesem Zweck im Frühstücksraum aufgebaut ist. Bevor du vorangehst, wartest du ab, ob jemand anderes das schon macht und dann folgst du, sei es bei der Arbeit, bei der Selbstbedienung am Kaffeeautomaten oder bei deinen Ideen.

3. Stufe: Sich selbst die Erlaubnis geben

Du erhältst die Erlaubnis nicht von einer höheren Instanz, wenn du danach fragst, sondern gibst dir selbst die Erlaubnis, wenn du es für richtig hältst. Du prüfst die Einladung zum Meeting und entscheidest, ob du daran teilnimmst oder nicht. Du beobachtest die Situation bei einem Kongress, gehst zu einer Gruppe von Teilnehmern, die zusammensteht und stellst dich vor. Im Aufzug sprichst du von dir aus den Vorstandsvorsitzenden an und wartest nicht, dass er das Gespräch beginnt. Du prüfst und bewertest für dich selbst, ob es okay ist, bestimmte Handlungen vorzunehmen. Du gehst vielleicht nicht immer voran, aber du gehst gerne neue Wege, die andere vor dir auch schon beschritten haben.

4. Stufe: Grundsätzlich die Erlaubnis haben

Das ist der genaue Gegenpol zur ersten Stufe „Grundsätzlich keine Erlaubnis haben“. Du gehst davon aus, dass du grundsätzlich darfst, was du willst. Begleitet von einer ethischen Grundhaltung benimmst du dich nicht asozial – du drängelst dich an der Kasse nicht dreist vor und du isst anderen Leuten nicht das Essen vom Teller –, aber du nutzt ganz selbstverständlich den Kaffeeautomaten im Frühstücksraum des Hotels, weil du davon ausgehst, dass er für die Gäste genau zu diesem Zweck aufgestellt wurde. Du sagst dem Chef unaufgefordert, dass du davon überzeugt sind, dass er nach deiner Einschätzung eine schlechte Entscheidung getroffen hat. Für dich sind Regeln nie absolut, sondern gelten immer nur situativ. Das heißt, dass du nur dein eigenes Urteilsvermögen nutzen, um dein Verhalten zu lenken.

Fragst du noch oder machst du schon?

Das Entscheidende und auch Interessante an dieser Klassifizierung ist:

  • Die wahrscheinlich häufigste Einstellung der Menschen in unserem Kulturkreis, liegt in der Mitte: zwischen Stufe 2 (um Erlaubnis fragen) und Stufe 3 (sich selbst Erlaubnis geben).
  • Die wahrscheinlich destruktivsten Einstellungen sind die Stufen 1 und 4. Beides ist zu extrem. Auf Stufe 1 bringst du weder dich noch die Organisation voran. Und Stufe 4 kann zu leicht in wahrgenommenen Egoismus umschlagen. Das ist nicht klug. Denn dann würdest du dich in der Gruppe isolieren und du würdest dir Gegner schaffen. In einem Unternehmen, dessen Zweck es grundsätzlich ist, Dinge gemeinsam zu erledigen, wäre das kontraproduktiv.
  • Die aus meiner Sicht wahrscheinlich beste Einstellung ist die zwischen Stufe 3 (sich selbst Erlaubnis geben) und Stufe 4 (grundsätzlich Erlaubnis haben). Denn dort sind Menschen unterwegs, die selbstbewusst und selbstbestimmt ihren Weg gehen, ohne es zu übertreiben. Ihnen ist klar, dass sie manchmal sehr genau prüfen sollten, ob es okay ist, bestimmte Handlungen vorzunehmen. Manchmal ist es nicht okay, zum Beispiel solltest du nicht einfach einem Meeting fernbleiben, das ohne dich nicht beschlussfähig ist. Und manchmal ist es eben völlig okay. Zum Beispiel solltest du einem Meeting, zu dem du eingeladen wurdest, fernbleiben, wenn du dort keinen Wertbeitrag liefern kannst. Das wäre vernünftig und im Sinne aller und das kannst du durchaus selbst entscheiden und wirst hoffentlich niemanden um Erlaubnis bitten!

Meine Frage an dich ist:
Wo würdest du dich einordnen?

Wenn du eher noch auf Stufe 2 oder vielleicht zwischen 2 und 3 steckst: Was hindert dich daran, den Schieberegler ein Stück weit nach oben zu schieben und dir selbst und deiner Organisation zuliebe ein bisschen seltener um Erlaubnis zu fragen?