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Digitalisierung

Lang lebe das Klopapier!

Neulich habe ich ein brandgefährliches Video gesehen, in dem Klopapier die tragende Rolle spielt.

Hört sich skurril an, ist aber ganz einfach erzählt.

Im Rahmen einer Branchenveranstaltung saß ich beim Mittagessen in kleinerer Runde mit Unternehmensvertretern aus dem Mittelstand zusammen. Das Tischgespräch drehte sich um das Themenbündel Veränderungsgeschwindigkeit, Digitalisierung und Disruption. Es ging ein wenig hitzig hin und her zur Frage, ob denn nun alles, was digitalisiert werden kann, auch digitalisiert werden wird.

Und ja, darüber kann man ja auch gut diskutieren, denn die Meinungen gehen auseinander: Von einem dicken Ausrufezeichen hinter dieser These,  dass die Digitalisierung alles auf den Kopf stellt, bis hin zur Haltung, dass das Thema und die Folgen dramatisiert werden, weil viele Berater mit der Angst ein Geschäft machen wollen und die große Alarmglocke schwingen.

Ein hagerer Mittfünfziger, der ein klarer Vertreter der Beschwichtigungsthese war, zog sein iPad aus der Tasche und erklärte: „Ich zeig Ihnen mal was …“ Nach einigem Tippen auf dem Touchscreen lief ein witziger, ziemlich gut gemachter Werbespot für Toilettenpapier.

Das Brandgefährliche war, um es präzise zu sagen, nicht das Werbevideo, sondern die Schlussfolgerung, die der Vertreter der Beschwichtigungsfraktion daraus zog:

„Von all dem Gerede über Digitalisierung lassen wir uns nicht kirre machen!“ Natürlich ist Panikmache kein guter Weg. Aber ob es ein Zeichen zukunftsstarker Führung ist, sich darauf zurückzuziehen, dass alles schon nicht so schlimm werde, bezweifle ich sehr.

Was derzeit in vielen Unternehmen besichtigt werden kann, ist eine klaffende Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit: 62 Prozent der deutschen Unternehmen glauben, beim Entwicklungsstand der digitalen Transformation auf Augenhöhe mit dem Wettbewerb zu sein. Aber tatsächlich wird nur in 16 Prozent aller befragten Unternehmen die Digitalisierung konsequent angegangen und auch etwas umgesetzt.

Digitalisierung – Drei Welten

Ich erlebe im Umgang mit dem Thema Digitalisierung drei große Gruppen.

I) Die ersten sind mittendrin, komplett neue Geschäftsmodelle für die digitalen Märkte zu entwickeln und zu testen. Sie haben den disruptiven Charakter des Entwicklungssprungs verstanden, den wir gerade erleben. Disruptiv heißt: Ein Geschäftsfeld verändert sich plötzlich und radikal. Wer im Geschäft bleiben will, muss komplett anders arbeiten als bisher, denn die digitale Transformation ist weniger eine Frage der Technologie, sie ist eine Frage der Führung. Nicht nur Prozessabläufe oder die Art und Weise der Produktentwicklung ändern sich grundlegend, sondern komplette Lern- und Veränderungsregeln der Organisation müssen an die neue Realität angepasst werden. Die Unternehmenskultur wird zum entscheidenden Erfolgsfaktor – und genau das hat man in diesen Unternehmen verstanden.

II) Und dann gibt es die zweite Gruppe, die sagt: „Ach, kommt, nervt uns nicht mit diesem Disruptionszeug. Es geht vor allem um Innovation, und das machen wir doch schon seit Jahren!“

III) Und dann gibt es noch die dritte Gruppe, die nicht so genau weiß, was da überhaupt passiert und es vielleicht auch gar nicht so genau wissen will. Man liest mal ein Buch über digitale Player und besucht die eine oder andere Konferenz – der Erkenntnisgewinn reduziert sich dann allerdings auf die Feststellung: „Das war ganz interessant.“ Und dann wird auf das Ausführlichste erklärt, warum das alles im eigenen Unternehmen nicht umsetzbar sei – während woanders die Frage lautet: „Warum haben wir das nicht schon längst getan?“

Ich sehe das so: Die letztere Gruppe ist geistig in der Vergangenheit verhaftet, die zweite Gruppe in der Gegenwart, die erste Gruppe in der Zukunft.  Und während bei den Gestrigen sowieso Hopfen und Malz verloren ist, haben die Gegenwärtigen – die Mitglieder der zweiten Gruppe – ein dickes Problem.

Das Moos wächst

Und zwar das Problem der Selbstzufriedenheit. Denn die Auftragsbücher sind gefüllt, die Maschinen laufen, die Nachfrage ist da. Und mit kontinuierlicher, intelligenter Optimierung und Modernisierung kommen die Unternehmen ziemlich weit.

Allerdings sollte uns das nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Gegenwart ihr Verfallsdatum bereits überschritten hat. Der von mir sehr geschätzte Journalist Gabor Steingart hat es mal so auf den Punkt gebracht: „Die Stärke unserer Volkswirtschaft zeigt Spuren der Verwitterung. In den Bilanzen von Siemens, Volkswagen, Telekom und Thyssen-Krupp wächst das Moos.“

Und das gilt eben nicht nur für die Industriegiganten, sondern ganz generell. Die Digitalisierung stellt die Märkte radikal und mit rasender Geschwindigkeit auf den Kopf. Erfolg der Vergangenheit zählen plötzlich nicht mehr.

Im Internet übernachten – Haha

Ich kann mich noch gut an eine Veranstaltung in der Hotelbranche vor rund zehn Jahren erinnern. Als ich über die dringend erforderliche Anpassung von Geschäftsmodellen auf die digitale Welt sprach, spottete ein Hotelier: „Ja, klar, und morgen übernachten wir im Internet!“ – Der ganze Saal lachte.

Man war vornehmlich mit der Verwaltung des Bestehenden beschäftigt. Das Hinterfragen und Nachdenken, das den Status quo auf den Prüfstand stellt und Neues schafft, hatte keinerlei Priorität – und wurde einem Newcomer namens AirBnB überlassen. Das Ergebnis: seit seiner Gründung 2008 bis heute hat die Plattform mehr als 300 Millionen Übernachtungen in 81.000 Städten organisiert.

Wenn die Veränderungsgeschwindigkeit außen größer ist als innen

Die Digitale Transformation gelingt nicht mit Aktionismus oder Schnellschuss-Strategien. Sie setzt vielmehr bei der eigenen Denkhaltung an, die auf Offenheit, Agilität und Anpassungsfähigkeit baut und sehr achtsam die Veränderungen in der Welt wahrnimmt – und nicht zurechtvernünftelt oder beschwichtigt. Denn immer dann, wenn die Veränderungsgeschwindigkeit im Innern des Unternehmens geringer ist als draußen im Markt, wird es fatal. Das heißt, ganz logisch, es ist nur eine Frage der Zeit, bis das Heute sich ins Gestern verwandelt hat und dieses Unternehmen weg vom Fenster ist.

Noch gibt es die Gelegenheit, die Ärmel hochzukrempeln. Aber das Zeitfenster schließt sich!